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Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers
Autoren: Martin Walser
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aus anderen Materialien: immer die auf den Hüften sitzende Hose, die bis zu den Knien eher eng war, dann aber weiter wurde und kurz über den Knöcheln richtig weit aufhörte. Dazu immer der Mantel, eng, bis knapp zu den Knien reichend. Und daß der Mantel offen blieb, ohne wirklich aufzugehen, war immer wieder erstaunlich. Auf der Insel fand das in Weiß statt, in Leinen und Seide. In München in Schwarz.
    Allmählich begriff ich Silbenfuchs: immer wie gerade vom Pferd gesprungen. Vergessen hatte er, daß sie im Damensitz geritten war, eine Peitsche in der Hand hatte, weil sie die Zirkusdirektorin war, die die Pferdedressur vorführte. Ihren Kopf hielt sie doch so, daß man den Zylinder förmlich sah.
    Sie las, mußte aber gleich wieder aufhören, weil ihre Augen brannten. Sie rieb heftig, es nützte nichts.
    Laß mich mal, sagte ich und leckte ihr sorgfältig beide Augen aus, bis sie nicht mehr brannten. Ich danke Ihnen, sagte sie.
    Wenn bloß alles so einfach wäre, sagte ich. Ich sagte, daß ich von ihr lerne. Ihre Entscheidung, für Mani Mani hier eine Stätte zu etablieren, werfe alle Altäre um, an denen ich je geopfert habe. Sie sagte, eine Zeit lang habe sie geglaubt, sie habe sich in mir getäuscht. Dann allmählich sei ihr aufgegangen, daß sie sich in sich getäuscht habe. Sie habe in mir die Fähigkeit, der Welt weh zu tun, erhofft. Total daneben. Sie sind entsprechungssüchtig. Ich: Stimmt.
    Sie: Warum von Ihnen etwas erhoffen, wozu ich selber nicht fähig war. Sie hat Ludwig Pilgrim in eine Lebensstimmung gewiegt, die nichts als Mache war. Sie, Julia Pelz, hat diese Mache geleistet. Sie hat Ludwig entsprochen. Einundzwanzig Jahre lang. Sie weiß jetzt, daß alles erlogen sein kann. Sie wird keine Sekunde lang glauben, daß jemand zu ihr so ist, wie er sich gibt. Ludwig Pilgrim hat ihr vertraut. Mit Recht. Sie hat einundzwanzig Jahre lang eine Liebe produziert, die es nicht gibt, die man aber produzieren kann, dann gibt es sie. So wie es das Ehepaar Pilgrim, das Andy Warhol gemalt hat, nicht gibt, aber man kann es malen. Man nennt, was da vor sich geht, kreativ. Etwas erlügen, heißt, es erschaffen. Man bezahlt es mit sich. Dadurch wird man reicher als man ist. Die natürliche Armut wäre bequemer. Soviel geben, wie man hat, das Ideal. Sie stand in der Mitte, direkt unter der Sichel.
    Hans Lach, sagte sie, geben Sie zu, daß Sie mein Saturnisches für Spleen gehalten haben.
Nein, sagte ich.
Sondern?
Für naive Malerei. Ein Versuch, Schicksal anzumalen.
Hochmut der einfachen Art, sagte sie.
    Da sie das Manuskript in der Hand hatte, sagte ich: Bitte, lesen. Sie gab sich mit der freien Hand den Einsatz und las:

    Wo für Korn andere sorgten, in der feinsten Familie, wurden dem Alten die Eier abgetrennt mit der Sichel. Saturn tat’s. Daß er der sei, der die Eier hat. Und gleich’n neues Zeitalter gestartet heißt das Goldene. So soll’s bleiben. Besser geht’s nicht. Abgeschafft das ewige Hoffen auf etwa anderes als das, was ist. Schluß mit Versprechung, Vertröstung, Jenseitslüge, Himmelschwindel Gelernt wird bei Saturn das selige Beißen ins unbarmherzige Nichtsalsjetzt. Verklärung des Zustands, der Trostlosigkeit. Gold, das Metall, das nicht zu verbessern ist. Und mußte Kinder machen natürlich seiner Rhea. Damit alles so bliebe, wie es jetzt war, fraß er die immer gleich auf. Eins aber hat die Gebärerin gerettet, hieß Zeus. Der hat Saturn, seinen Alten, dann ins unterste Finstere verjagt, ins Erdinnerste. Da kauert er, schleift die Sichel, kauert und schleift. Verdammt wegen Geschichtsverneinung. Und droben im Licht, Zeus. Der macht es jetzt schon ne ganze Weile. Mit der Masche Gerechtigkeit. Immer alles immer noch gerechter. Die Masche aller Maschen. Seitdem heißt der Stillstand Geschichte. Mit dem dazugehörigen Versprechungs und Jenseitsschwindel. Eine Utopie nach der anderen wird aufgetischt, geglaubt, verdammt, die nächste bitte. Gerade zu Ende das Jahrhundert, das alle zu Wissenden machte. Stalin, Hitler, man kann die Namen gar nicht eng genug zusammen nennen. Da gibt es allerdings die Ansicht, die Verbrechen der einen seien tugendhafter als die der anderen. Und doch: Zwei Utopien, ein Ergebnis. Kein Verbrechen kommt ohne Utopie aus. Keine Utopie ohne Verbrechen. Verbrechen für immer mehr Gerechtigkeit. Den Unterschied, den Moral und Gesetz zwischen Tätern und Opfern machen müssen, begreife ich, je schlimmer die Tat ist, um so weniger. Ich bin und bin keine Historikerin. In die
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