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Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers
Autoren: Martin Walser
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und wenn die Lieferanten dran sind und das auch wollen, findet die Befruchtung im Palast des Lebens statt, und zwar höchst feierlich.
    Auch als man noch nicht jede Körperzelle in Stammzellen umwandeln konnte, hatte man schon Antiaging-Cells aus den Hoden der Drosophila gewonnen.
    Im Science-Txt und im Developmental Cell-Net wurde die Jahrtausendentdeckung beschrieben. Wie jene Nachbarschaftszellen, je nach ihrer Entfernung von der Spitze des Taufliegen-Hodens sich in Spermien verwandeln, ist ein Verlauf, den die Evolution sich offenbar nur einmal hat einfallen lassen müssen, das heißt, die Spermiengewinnung beim Menschen folgt dem gleichen Muster wie bei der Taufliege. Als man dann aus menschlichen Körperzellen Stammzellen machen konnte, konnte man sich für Spermiengewinn und Alterungsstopp sozusagen bei sich selbst bedienen. Und seit die High Performance Genes, in Europa Turbogene genannt, im Handel waren, konnte jeder seinen Spermienbedarf beziehungsweise seine
    Ejakulationsfrequenzen beliebig regeln. Ebenso sind die Orgasmusamplituden risikolos wählba
    geworden. Glück war machbar geworden. Der Aal gehörte zu den ersten zehn Menschen, die die Antiagingcells noch von der Drosophila bezogen hatten. Schon deshalb ist er ein Heros der E O-Kultur. Es gab keine Kulturveranstaltung in der ganzen Welt, die Einschaltquoten hat wie die GLÄSERNE MANEGE. Die lief ja nicht nur am Samstag über den Schirm, wenn die Großen Vie erscheinen, sondern die ganze Woche. Ununterbrochen schoben die Transportbänder Glaskabinen, unter der GLÄSERNEN MANEGE durch. In den Glaskabinen die Schriftsteller, die von ihren Head-Tops lasen, was sie geschrieben hatten. Diese Bänder liefen immerzu. Die Großen Vier kamen dann am Wochenende für sechs Stunden in die Glasmanege, der Eventpalas war bis auf den letzten Platz besetzt. Wer wollte, konnte die von den Head-Tops ihre Werke Lesenden unter der Woche jederzeit im Kulturkanal anwählen und ihnen zuschauen, zuhören. Das war auch die Hoffnung eines jeden, der etwas geschrieben hatte, daß er, wenn schon nicht von den Großen Vier, dann doch vielleicht von den Fernsehzuschauern entdeckt wurde. Aber die eigentliche, die alle Lebensmühen motivierende Hoffnung war natürlich der Samstagabend, die GLÄSERNE MANEGE, wenn die Großen Vier auftraten und diesen und jenen aus den unterm Glasboden kreisenden Autoren per Knopfdruck heraufwählten. Man wußte, daß sie sich auch unter der Woche gelegentlich diesen oder jenen Autor auf den Schirm holten und sich darüber einigten, wen sie am Samstag auf dem Riesenschirm im Eventpalast präsentieren und lesen lassen würden, bis sie glaubten, genug zu haben, das heißt, bis sie glaubten, reagieren zu können, reagieren zu müssen. Und das war dann die Show, der Event schlechthin. Drei Stufen bildeten sich sowohl beim Rühmen wie beim Verdammen heraus . Ruhm für heute, Ruhm für morgen, Ruhm absolut. Ruhm absolut wurde in den neunzehn Jahren der GLÄSERNEN MANEGE nur einmal verliehen, an eine peruanische Erzählerin, die in einem Familienepos erzählte, daß ihre Familie hoch in den Anden nur überleben konnte, weil die Eltern Kinder zeugten und sie dann immer aufaßen. Die Stufen des Verdammens waren Beleidigung, Abstrafen, Fertigmachen . Alle drei Stufen wurden wöchentlich exekutiert. Die Kamera zeigte dann in Großaufnahme wie die Beleidigten oder Abgestraften oder Fertiggemachten reagierten Wer sich da etwas Originelles einfallen ließ, konnte dann noch gegen das Votum der Kritoren die RAUPE bekommen, das war der Wochenpreis des Publikums. Aber ungleich begehrter war natürlich der PRICK, der Preis der Großen Vier. Die Autoren und Autorinnen taten alles, aber auch gar alles, um als preiswürdig aufzufallen. Der Wettbewerb der Lesenden wurde öfter ein Wettkampf im Auffallen. Wenn sich einer ein Kreuz in die Stirn schnitt, holte ihn natürlich die Regie sofort auf den Riesenschirm. Auch Onanieren kam vor. Aber nur der erste, der vor laufender Kamera lesend onanierte und ejakulierte, bekam den Publikumspreis. Dann auch die erste Autorin, die das öffentlich hinkriegte. Der Affe ließ sich von dem onanierenden Autor fast hinreißen, selber Hand an sich zu legen. Oder tat doch so. Ebenso Klitornostra, als eine Autorin sich selber bediente. E- und O-Kultur at it’s best, meldeten die news. Aber natürlich, das Vorlesen beziehungsweise das Reagieren auf Vorgelesenes blieb schon die Hauptsache. Allerdings nur in der GLÄSERNEN MANEGE. Man vergesse,
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