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Tod am Laacher See

Tod am Laacher See

Titel: Tod am Laacher See
Autoren: Hans Juergen Sittig
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dem
Umschlagen des Fahrzeuges geborsten, und alles war voller kleiner Glassplitter.
Allmählich wurde Malchow die ganze Situation bewusst. Er lebte. Das war der
wichtigste Punkt. Er hatte großes Glück gehabt. Aber sein rechter Arm schien
etwas abbekommen zu haben. Er konnte ihn nicht bewegen.
    Was war passiert? Er erinnerte sich an das angsterfüllte Gesicht
einer Frau hinter der Frontscheibe. Er hatte sie nur ganz kurz gesehen und die
Panik erkannt, die von ihr Besitz ergriffen hatte. Sie war plötzlich auf seiner
Fahrbahnseite gewesen. Da war er sich ganz sicher. Sie hatte ihn getroffen. Das war ganz wichtig. Man würde
feststellen müssen, dass er keine Schuld hatte. Dass der Unfall von ihr
ausgegangen war. Malchow wurde von einer großen Sorge erfasst, wie der Unfall
bewertet würde und ob er vielleicht seinen Job verlieren konnte, falls nicht
eindeutig nachzuvollziehen war, wie sich das Ganze abgespielt hatte.
    Dann schob sich eine andere Frage in sein Bewusstsein: Was war mit
den Menschen in dem anderen Wagen geschehen? Er glaubte, sich an ein zweites
Gesicht zu erinnern, neben der Frau hatte womöglich noch jemand gesessen. Sein
Blick nach vorn durch die Fensteröffnung, in der kurz zuvor noch die
Frontscheibe gewesen war, ging in die falsche Richtung. Der Kleinwagen musste
irgendwo hinter ihm sein. Es kostete Malchow erhebliche Mühe, sich trotz seines
nicht einsetzbaren, heftig schmerzenden rechten Armes aus der Fahrerkabine zu
befreien und ins Freie zu klettern.
    Als er es geschafft hatte, entdeckte er den Kleinwagen auf der
Straße an einem Baum. Er lag auf der Seite, Malchow sah nur den Unterboden. Er
fühlte sich ganz elend bei dem Anblick und fragte sich, wieso noch kein anderes
Auto aufgetaucht war. Benommen setzte er einen Fuß vor den anderen und folgte
der markanten Spur seines Fahrzeuges, das das Gras auf der Wiese platt ge-
hobelt hatte. Er erreichte die Straße und bewegte sich langsam weiter auf den
Unglückswagen zu. Seine Wahrnehmung konzentrierte sich völlig auf das Fahrzeug
vor ihm. Er sah wieder das Gesicht der Fahrerin vor sich. Und er fühlte sich
mit jedem Schritt elender. Er wusste nur, dass er, um in den Wagen
hineinschauen zu können, jetzt noch einige wenige Schritte tun musste. Dass
sich nun ein Wagen vom Kloster her näherte und kurz darauf ein zweiter aus
Richtung Wassenach, nahm er gar nicht wahr. Er fühlte sich miserabel und an den
Grenzen seiner Belastbarkeit, aber er gab sich einen letzten Ruck.
    Durch die völlig zersplitterte, aber noch im Rahmen gehaltene
hintere Scheibe konnte er nichts erkennen. Das Fahrzeugdach war vom Aufprall
bei der Kollision mit dem Baumstamm stark eingedrückt. Die Scheiben der beiden
rechten Türen waren zertrümmert und fehlten beinahe völlig. Sie gaben den Blick
in den Wagen frei. Malchow brauchte einen Augenblick, bis er erkannte, dass da
wirklich zwei erwachsene Menschen im vorderen Wagenbereich waren. Er hatte zwar
keinerlei medizinische Ausbildung. Aber was er sah, sagte ihm, dass diese
beiden Menschen tot waren. Ihn überkam eine tiefe Traurigkeit. Seine Befürchtung
war grausame Wahrheit geworden. Aber der ganz tiefe, entsetzliche Schrecken,
den er nie wieder vergessen sollte, setzte erst ein, als er das Bild auf der
Rückbank des Wagens sah. Malchow begann, hemmungslos zu weinen. Er weinte wie
noch nie in seinem Leben.
    Als die Rettungskräfte eintrafen, weinte er immer noch.

Juli 2012
    Dorothee Fresemann stand zusammen mit ihrem Ehemann auf,
obwohl es noch viel zu früh für die Sonntagsmesse war, die sie gewohnheitsgemäß
zu besuchen pflegte. Aber sie wollte ihrem Mann ein kleines Frühstück bereiten,
bevor er zum Schwimmen aufbrach. Friedrich Fresemann hatte sich nach seinem vor
gerade mal vier Monaten erlittenen Herzinfarkt selbst ein kleines
Schwimmtraining auferlegt, um der körperlichen Untätigkeit ein Ende zu bereiten.
Das habe sein Kardiologe befürwortet, behauptete er. Doch Dorothee Fresemann
blieb skeptisch. Obwohl es ja immer wieder hieß, dass Schwimmen sehr gesund
sei, ging ihr das Ganze zu schnell. Und sie kannte ihren Mann und seinen Hang,
sich zu viel zuzumuten. Zwar war er als junger Mann sehr sportlich und auch
einmal ein sehr guter Schwimmer gewesen. Aber die Dinge lagen eben nicht mehr
so wie vor dreißig Jahren. Er war inzwischen einundsechzig Jahre alt und hatte
einen Herzinfarkt nur knapp überlebt. Ihrer Meinung nach wollte er einfach
nicht wahrhaben, dass er mittlerweile ein älterer Herr war, der
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