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Tochter der Nacht

Tochter der Nacht

Titel: Tochter der Nacht
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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Priester-König übergelaufen, sobald er den Tempel erreicht hatte. Tamino wußte eigentlich nicht mehr, wie es dazu gekommen war, daß er der Sternenkönigin mißtraute, oder weshalb er sein Versprechen gebrochen hatte. Warum hatte er Pamina nicht befreit? Warum war er plötzlich zu der Ansicht gelangt, sie müsse nicht befreit werden?
    Er wußte es nicht mehr.
    »Sarastro, dieser Bösewicht, hat Euch geblendet wie alle meine Freunde«, zürnte die Sternenkönigin. »Ganz Atlas-Alamesios leidet unter seiner Tyrannei, eine Tyrannei, die den Geist verdirbt und verführt. Er möchte die Halblinge über uns setzen. Ihre Herrschaft würde die Gestalter in all ihrer Weisheit verhöhnen. Aber es ist noch nicht zu spät, mein Sohn. Ihr könnt Euch von dem größten aller Tyrannen lossagen. Seht Ihr nicht, wie er Euch mit dem Versprechen von Paminas Hand belogen, benutzt und bestochen hat? Aber das kann wiedergutgemacht werden. Sagt Euch von Sarastro los, und ich werde Euch Freundin sein.«
    Taminos Augen wanderten plötzlich zur Zauberflöte, die noch im Gras lag. Er hatte nicht den Mut gehabt, sie wieder in den Gürtel zu stecken. Doch da war ihm, als hörte er eine Stimme – Paminas Stimme? Tamino wußte es nicht –, die ihm zurief: Die Flöte, Tamino, spiele die Flöte! Sie ist die Zauberwaffe der Wahrheit. Bei ihrem Ton kann niemand lügen.
    Er wandte den Blick von der Sternenkönigin. Wie konnte er sie unterbrechen, sich rasch bücken und die Flöte aufheben?
    Wieso empfand er plötzlich, es sei sehr wichtig, die Flöte in der Hand zu halten und zu spielen, ehe sie es entdeckte?
    »Seht mich an, Tamino, mein Sohn! Hört auf meine Worte!
    Sarastro hat Euch verhext und sich Euren Stolz zunutze gemacht. Pamina ist zu mir zurückgekehrt. Sie kennt jetzt die Wahrheit und weiß, wie Sarastro euch beide belogen hat.«
    Tamino! Nimm die Flöte! Spiele die Flöte!
    Es war ganz sicher Paminas Stimme! Tamino trat zur Seite, bückte sich und hob die Flöte auf.
    »Tamino, habt Ihr mir nichts zu sagen? Wollt Ihr nicht mit mir kommen in meinen Palast, wo Pamina Euch erwartet?
    Sarastro kann Euch ihre Hand nicht geben, sie hat sich von ihm losgesagt«, redete ihm die Königin freundlich zu. »Wenn Ihr mit mir kommt, werde ich Euch ihre Hand geben. Hier sind ihre Schwestern. Sie sollen Euch zu Pamina bringen. Wußtet Ihr nicht, mein lieber Sohn, daß sie Paminas Schwestern sind?«
    Jetzt sah er sie im Schatten hinter der Sternenkönigin, die drei Frauen – Tamino erinnerte sich sogar an ihre Namen: Disa, Zeshi und Kamala, die Kriegerin; sie hatte ihm gesagt, die Flöte sei eine Waffe, für die sie bereitwillig Schwert, Speer und Bogen geben würde. Weshalb hielt Kamala den Speer wurfbereit auf ihn gerichtet? Die drei trugen dunkle Gewänder, dunkler als die der Sternenkönigin, und sie erinnerten an Sturmwolken.
    »Kommt mit mir, mein lieber Sohn. Ich habe Euch Paminas Hand versprochen. Ihr und meine Tochter sollt an meiner Seite über das Land herrschen und Sarastro am Ende vom Thron stoßen.«
    »Das würde ich gern aus Paminas Mund hören«, entgegnete Tamino.
    »Weißt du nicht«, sagte die Sternenkönigin mit sanfter, verführerischer Stimme, »daß ich Pamina bin, denn ich bin alle Frauen.« Und vor seinen staunenden Augen richtete sich die gebeugte und verhüllte Gestalt auf, das dunkle Haar mit den silbernen Strähnen wurde blaß golden und lockig, und Paminas liebliches Gesicht lächelte ihn an.
    »Geliebter«, flüsterte sie, »ich bin wieder bei dir. Wir wollen zusammen diesen bösen Tyrannen stürzen. Komm, nimm meine Hand, meine einzige Liebe, denn nur zusammen werden wir siegen.«
    Sie streckte ihm die Hand entgegen. »Nimm meine Hand«, sagte sie, »vergiß die Ränke des alten Zauberers. Wir sind wieder zusammen.«
    Konnte er das glauben? Pamina war ihm schon einmal durch ihre Zauberkünste bis zur Unkenntlichkeit verwandelt erschienen, und er hatte ihr vertrauen müssen. Was war Wahrheit? War alles nur ein Spiel mit seiner Arglosigkeit und Gutgläubigkeit?
    »Nimm meine Hand«, forderte sie ihn etwas strenger auf,
    »und zusammen…«
    Tamino wollte schon die Hand ausstrecken und sie Pamina reichen. War sie die ganze Zeit die Sternenkönigin gewesen? Er hob die Hand… und sah wieder die Zauberflöte.
    Bei jeder Prüfung habe ich dich gebeten, sie zu spielen, um uns in unserer Not Trost und Hilfe zu bringen. Nun, Tamino, spiel die Flöte!
    Tamino betrachtete Pamina, die vor ihm stand. Er glaubte nicht, daß sie
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