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Titanus

Titanus

Titel: Titanus
Autoren: Eberhardt del'Antonio
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worden sind, und welche gesellschaftlichen Veränderungen…«
    »Man kann die Jahrhunderte vor unserem Start nicht mit dem gleichen Zeitraum danach vergleichen«, sagte Inoti. »Das Entwicklungstempo beschleunigt sich, Entdeckungen und Erfindungen folgen schneller aufeinander, das gesellschaftliche Leben verändert sich rascher. Lagen zwischen der Erfindung der Dampfmaschine und der Erfindung der Dampfturbine einhundertzwanzig Jahre, so folgte dem ersten Tretkurbelfahrrad der erste Kraftwagen schon nach dreißig Jahren, und von den ersten zaghaften Gleitflügen bis zum Motorflug vergingen nur rund zehn Jahre. Und nur fünf Jahre waren es vom Düsenantriebwerk zum Raketenrückstoßtriebwerk mit flüssigen Treibstoffen!«
    Nasarow sann Inotis Worten nach. »Man wird uns nach der Rückkehr als museale Überreste bestaunen. Es wird nicht einfach sein, sich in der neuen Welt zurechtzufinden.«
    »Nach diesem Anschauungsunterricht? Man wird uns helfen!« sagte Inoti, als müßte er Nasarow Mut zusprechen.
    »Vielleicht sind, wenn wir zurückkehren, die Menschen schon weiter als die Titanen jetzt? Dreihundert Jahre sind ein gewaltiger Sprung! Stellen Sie sich vor, Isaac Newton, der immerhin mit dem Gravitationsgesetz, der Entdeckung der Spektralfarben und den Bewegungsgesetzen grundlegende Voraussetzungen für die Raumfahrt schuf, der schon sechzehnhundertsiebenundachtzig das Rückstoßprinzip fand und es als das Prinzip bezeichnete, das den Menschen späterer Jahrhunderte den Flug nach den Sternen ermöglichen würde – Isaac Newton wäre in das zwanzigste Jahrhundert verschlagen worden! Wie hilflos hätte er unsern Alltag betrachtet: Elektromotoren, Dampfmaschinen und Turbinen, Generatoren, Kraftwagen, Werkzeugmaschinen, Flugzeuge, Raketen, dazu Betonstraßen, Luftreifen, Glühbirnen, Feuerzeuge, automatische Schreibmaschinen, Filmapparate, Fernschreiber, und vor allem Radios, Fernsehempfänger und Elektronenhirne… Was hätte er zu Atomkraftwerken, Raumstationen und Weltraumschiffen gesagt? Zu Newtons Zeiten raste ja noch die Inquisition durch Frankreich und Spanien, gab es in Deutschland eine Erbuntertänigkeit, in der das Besitzrecht an Leibeigenen vererbt wurde, und in Rußland ähnelte die Leibeigenschaft der Sklaverei!«
    Er unterbrach sich und sann vor sich hin.
    Inoti sagte langsam in die Stille, daß jedes Wort doppeltes Gewicht gewann: »Zu Newtons Zeiten waren meine Vorfahren noch Freiwild für Sklavenhändler, gab es Negerstämme, die Menschen fraßen. Ich dagegen verließ die Erde als Gleichberechtigter. Es gab schon bei unserem Start im Staatenbund keine Schranken mehr zwischen weiß und schwarz. Schon damals hatten wir den ungeheuren geistigen Rückstand mit Hilfe der weißen und der gelben Brüder aufgeholt, waren wir ein gleichwertiges Kind der Völkerfamilie geworden.«
    »Die nächsten Jahre werden wohl der Auswertung unserer Reise gehören.« Nasarow lachte leise. »Ich bin überzeugt, daß wir in der ersten Zeit kaum zur Ruhe kommen werden. Aber die zweite Hälfte unseres Lebens werden wir sicher mit andern Dingen verbringen. Vielleicht fliegen wir drei Jahre später wieder hierher.«
    »Hören Sie auf!« rief Inoti und lachte ebenfalls. »Sie können einem bange machen! Mir genügt es, nach der Rückkehr dreihundertdreißig Jahre alt zu sein.«
    »Stellen wir doch einmal einen kosmischen Fahrplan auf. Start auf der Erde im Alter von dreißig Jahren im Jahre – meinethalben im Jahre zweitausend. Ankunft auf dem Titanus zweitausendeinhundertfünfzig. Rückkehr auf die Erde im Alter von vierzig Jahren im Jahre zweitausenddreihundert. In demselben Jahr der zweite Start und schließlich Rückkehr zur Erde im Alter von fünfzig Lebensjahren im Kalenderjahr zweitausendsechshundert.«
    »Ihre Phantasie macht größere Sprünge, als ich sie mir vorstellen kann«, sagte Inoti ernst. »Angenommen, ein Zeitgenosse Isaac Newtons hätte sich erlaubt, einen utopischen Roman zu schreiben, in dem nur ein Viertel dessen geschildert wird, was es zur Zeit unseres Starts alles gab – was hätte man dazu gesagt?«
    »Ihn wegen Gotteslästerung auf dem Scheiterhaufen verbrannt!«
    »Deswegen hüte ich mich, den Propheten zu spielen. Das Leben ist einfallsreicher, farbiger und vielseitiger als die ausschweifendste Phantasie.«
    »Und doch«, entgegnete Nasarow heiter, »wenn der Mensch die Fähigkeit verliert, in die Zukunft zu träumen, gleicht er einem Triebwerk mit verstopften Düsen. Mag nur ein Teil in Erfüllung
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