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Titan 15

Titan 15

Titel: Titan 15
Autoren: Robert Silverberg , Wolfgang Jeschke
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meine?«
    »Nein.«
    Sie waren wie Jade, ihre Augen.
    »Nun, es ist so etwas wie… nun, Sex eben. Das ist es.«
    Ein Licht flammte in diesen Jadelampen auf.
    »Oh, Sie meinen, wenn man Kinder zeugt?«
    »Ja. Das ist es. Genau das.«
    Sie lachte. Es war das erste Mal, daß ich in Tirellian Gelächter hörte. Es klang, wie wenn ein Geiger die Saiten seines Instruments zupft, ein Pizzikato winziger Töne gleicher Höhe. Es klang nicht sehr angenehm, besonders, weil sie zu lange lachte.
    Als sie schließlich aufhörte, trat sie näher zu mir. »Jetzt erinnere ich mich«, sagte sie. »Wir haben auch solche Regeln. Vor einem halben Zeitraum, als ich ein Kind war, hatten wir solche Regeln. Aber…« – sie sah aus, als wollte sie gleich wieder loslachen – »jetzt ist das nicht mehr nötig.«
    Mein Gehirn arbeitete wie ein Computer auf Hochtouren. Ein halber Zeitraum! Halber Zeitraum – Zeitraum – Zeitraum! Nein! Ja! Ein halber Zeitraum waren grob gerechnet zweihundertdreiundvierzig Jahre!
    Zeit genug, die 2224 Tänze des Locar zu lernen.
    Zeit genug, um alt zu werden, wenn man ein Mensch war.
    Ein Mensch, wie auf der Erde, meine ich.
    Ich sah sie wieder an, bleich wie die weiße Dame in einem Schachspiel aus Elfenbein.
    Sie war ein Mensch, ich war bereit, meine Seele dafür zu verwetten – lebendig, normal, gesund. Darauf würde ich mein Leben setzen. Frau…
    Aber sie war zweieinhalb Jahrhunderte alt, und das machte M’Cwyie zu Methusalems Großmutter. Es schmeichelte mir, daran zu denken, daß sie mir wiederholt Komplimente über mein Geschick als Sprachkundiger, als Dichter, gemacht hatte. Diese überlegenen Wesen!
    Aber was bedeutete dieses ›Jetzt ist das nicht mehr nötig‹? Warum die Hysterie? Warum all diese eigenartigen Blicke, die M’Cwyie mir immer zugeworfen hatte?
    Ich wußte plötzlich, daß ich hier im Begriff war, etwas Wichtigem auf die Spur zu kommen.
    »Sagen Sie«, fragte ich mit ganz beiläufiger Stimme, »hatte das etwas mit ›der Pest, die nicht tötet‹ zu tun, von der Tamur geschrieben hat?«
    »Ja«, erwiderte sie, »die Kinder, die nach dem Regen geboren wurden, konnten selbst keine Kinder gebären, und…« »Und was?« Ich lehnte mich vor, lauschte gespannt. »Und die Männer sehnten sich nicht danach, welche zu bekommen.« Ich sackte auf mein Bett zurück. Rassische Sterilität, männliche Impotenz als Folgeerscheinung ungewöhnlichen Wetters? Hatte viel
    leicht irgendeine vagabundierende Wolke aus radioaktivem Müll von Gottweißwoher ihre schwache Atmosphäre eines Tages durchdrungen? Eines Tages, lange bevor Schiaparelli die Kanäle entdeckte, mythisch wie mein Drachen, lange bevor jene ›Kanäle‹ zu den richtigen Schlüssen aus den falschen Voraussetzungen geführt hatten, war Braxa schon auf der Welt, hatte sie hier getanzt. Und sie war wohl bereits im Mutterleib verdammt, als der blinde Milton von einem anderen Paradies geschrieben hatte, das gleichfalls verlorenging?
    Ich fand eine Zigarette. Gut, daß ich daran gedacht hatte, Aschenbecher mitzubringen. Auf dem Mars hatte es nie eine Tabakindustrie gegeben. Und Schnaps auch nicht. Die Asketen, die ich in Indien kennengelernt hatte, waren, verglichen mit den Marsbewohnern hier, die reinsten Genüßlinge.
    »Was ist das für ein Feuerrohr?«
    »Eine Zigarette. Wollen Sie eine?«
    »Ja, bitte.«
    Sie setzte sich neben mich, und ich zündete sie ihr an.
    »Das juckt in der Nase.«
    »Ja. Ziehen Sie etwas davon in die Lunge, halten es dort fest und atmen Sie wieder aus.«
    Ein Augenblick verstrich. »Oh«, sagte sie.
    Eine Pause. Und dann: »Ist das geheiligt?«
    »Nein, das ist Nikotin«, antwortete ich, »ein ganz primitiver Ersatz für die Göttlichkeit.«
    Wieder eine Pause.
    »Bitte, verlangen Sie nicht von mir, daß ich ›Ersatz‹ übersetze.«
    »Das tue ich auch nicht. Ich habe dieses Gefühl manchmal, wenn ich tanze.«
    »Es geht gleich vorbei.«
    »Sagen Sie mir jetzt Ihr Gedicht?«
    Plötzlich hatte ich eine Idee. »Augenblick«, sagte ich, »ich habe vielleicht etwas Besseres.«
    Ich stand auf und wühlte in meinen Büchern, dann kehrte ich zurück und setzte mich neben sie.
    »Dies sind die ersten drei Kapitel vom Buch des Predigers Salomo«, erklärte ich. »Das ähnelt euren heiligen Büchern sehr.«
    Ich fing zu lesen an. Ich schaffte elf Verse, ehe sie rief: »Bitte, lesen Sie das nicht! Ich will eines von Ihren Gedichten hören!«
    Ich hielt inne und warf das Buch auf den Tisch. Sie zitterte, aber nicht so
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