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Titan 10

Titan 10

Titel: Titan 10
Autoren: Ben Bova , Wolfgang Jeschke
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Strahlenschäden, die nicht auf die Haut beschränkt blieben, sondern das Fleisch und die Knochen bis hin zu den inneren, lebenswichtigen Organen durchdrungen hatten. Und noch schlimmer: Die Zuckungen und spasmischen Krämpfe der Muskeln deuteten darauf hin, daß radioaktive Splitter in das Fleisch eingedrungen waren und nun direkt über die Nerven die motorischen Impulse störten. Jenkins schaute hastig auf den sich windenden Körper unter ihm und erbleichte, bis sein Gesicht gelblich weiß wurde: das war das erste Opfer eines wirklichen Atomunfalls, das er je gesehen hatte.
    »Curare«, sagte er schließlich. Er mußte sich zwingen, das Wort auszusprechen, aber seine Stimme zitterte nicht. Schwester Meyers reichte ihm die Spritze, und er setzte sie an. Seine Hand war ruhig – mehr als ruhig, eigentlich so unbewegt, wie es nur ein wirklicher Ernstfall bewirken kann. Erleichtert und erschreckt zugleich wandte Ferrel sich wieder seinem eigenen Patienten zu.
    Die Heftigkeit der Muskelzuckungen ließ nur einen Schluß zu: Irgendwie hatte die Radioaktivität nicht nur die Atemgitter durchdrungen, sondern sich auch einen Weg durch die fast luftundurchlässigen Gelenke der Schutzanzüge gebahnt. Nun strahlten diese im Fleisch der Männer sitzenden Splitter Radioaktivität in jeden Nerv, störten die normalen Impulse zwischen Gehirn und Rückenmark und errichteten ihre eigene Anarchie, die die Muskeln erbeben und erzittern ließ. Ohne Sinn und Vernunft arbeitete nun ein Muskel gegen den anderen und machte es dem Körper unmöglich, sich zu entspannen. Dieser Vorgang war am ehesten mit dem Geschick eines Schizophrenen zu vergleichen, der einen Metrozolschock erlitt, oder mit einer schweren Strychninvergiftung. Vorsichtig spritzte er Curare und dosierte nach bestem Wissen und Gewissen.
    Jenkins hatte bereits die beiden anderen Patienten mit Curare versorgt, als Dr. Ferrel von dem seinen aufschaute. Trotz der überaus schnellen Wirkung der Droge hielten die Zuckungen an, wenngleich sie auch nicht mehr so stark waren.
    »Curare«, wiederholte Jenkins, und der Doc erschrak innerlich. Er hätte gezögert, ob eine Überdosis vertretbar sei. Aber er gab keine anders lautende Anweisung und fühlte sich sogar erleichtert, daß ihm dieses Mal die Verantwortung abgenommen worden war. Jenkins machte sich wieder an die Arbeit, trieb die Injektionen bis zum äußersten Grade des Vertretbaren – und sogar noch etwas darüber hinaus. Einer der Verletzten stieß ein leises schreckliches Stöhnen aus, das dann und wann, wenn seine Lungen sich nicht mehr in Synchronisation mit den Stimmbändern befanden, unterbrochen wurde. Aber nach ein paar Minuten schlug die Droge an, und die Männer beruhigten sich und atmeten so flach, wie es bei einer Behandlung mit Curare üblich war. Hin und wieder wurden ihre Muskeln noch von Zuckungen erschüttert, doch während vorher die Gefahr bestand, daß sie sich mit den unkontrollierten Bewegungen selbst die Knochen brachen, ähnelten die Bewegungen jetzt denen eines Menschen, der an Schüttelfrost litt.
    »Gott segne den Mann, dem es gelang, Curare zu synthetisieren«, murmelte Jenkins, als er mit Meyers’ Hilfe damit begann, das versengte Fleisch abzutupfen.
    Doc konnte dem nur zustimmen. Bei dem älteren, natürlichen Produkt war eine genaue Dosierung praktisch unmöglich gewesen. Spritzte man zuviel, hatte das fatale Auswirkungen: der Patient starb an ›Erschöpfung‹ seiner Herzmuskulatur, und das innerhalb von Minuten. Zu wenig Curare war praktisch wirkungslos.
    Jetzt, da die Gefahr der Selbstverletzung und irreparabler Erschöpfung gebannt war, konnte er sich erst eigentlich um so etwas Unwichtiges wie Schmerzbekämpfung kümmern, denn Curare wirkte keineswegs auf die sensorischen Nervenbahnen. Er injizierte Neo‐Heroin, säuberte die verbrannten Hautpartien und behandelte sie routinemäßig mit den üblichen Gerbsäureprodukten, zuerst mit Sulfonamid, um die Gefahr einer Infektion zu bannen.
    Dabei blickte er gelegentlich zu Jenkins herüber, doch wegen ihm brauchte er sich keine Sorgen zu machen. Die Nerven des Jungen waren zu einer unnatürlichen Ruhe erstarrt, obwohl er mit solch einem Tempo arbeitete, daß Ferrel nicht einmal versuchte, ihn nachzuahmen, da sonst seine Arbeit darunter gelitten hätte. Auf eine Handbewegung hin reichte Dodd ihm den kleinen Strahlendetektor, mit dem er Zentimeter um Zentimeter die Haut auf mikroskopisch kleine Splitter abtastete. Zwar bestand jetzt keine
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