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Tintorettos Engel

Titel: Tintorettos Engel
Autoren: Melania G. Mazzucco
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die Puppen, Figürchen und Wachstiere verschenkt oder im Ofen in Flammen aufgehen lassen - denn selbst ein winziges, unbedeutendes Kamel aus Glas vermochte mich tödlich zu verletzen. Am Ende habe ich sogar ihr Bild in meinem Atelier zur Wand gedreht. Nun schaute man auf die Rückseite, auf das Zettelgewebe der Leinwand. Dieses dichte Fadennetz, an dem mein Blick zuweilen stundenlang hängen blieb, sah aus wie das Labyrinth, in dem ich sie verloren habe. Zwischen dem Türflügel und dem Dachbalken hing ein Spinnennetz. Ein erstaunliches Geflecht feinster Seidenfäden vibrierte unmerklich im fahlen Sonnenlicht. In der Mitte saß regungslos eine dicke goldene Spinne auf der Lauer. Ich fragte mich, seit wie vielen Jahren sie bereits auf mich wartete.
    Das Holz war von der Feuchtigkeit aufgequollen, der Schlüssel ließ sich nicht drehen, das Schloss klemmte. Fast hätte ich die Tür aushebeln müssen. Als sie endlich nachgab, stand ich vor einer Reihe Gespenster, auf denen eine feine, weiße Staubschicht lag. Die hölzernen Formen, die dem menschlichen Körper nachgebildet sind und monate-, ja zuweilen jahrelang unsere Kleider tragen, damit sie nicht aus der Form geraten, schwankten aufgrund des Rucks beim Türöffnen hin und her, und auf einmal plumpste mir ein Haufen Stoff in die Arme. Instinktiv fing ich ihn auf.
    Welch ein gestörter, abergläubischer Idiot, wirst du jetzt denken, zweifelt an der Existenz Gottes, aber glaubt an Geister. Lach nur
über mich, wenn du willst. Ich habe keine Angst, mich lächerlich zu machen. Mein höchstes Glück, Herr, hat einmal genau diesen roten Samtstoff getragen. Ich breitete ihn auf dem Boden aus. Mit der gleichen Behutsamkeit hatte ich sie einst in jener Nacht in Mantua im Saal auf den Boden gelegt. Sie blinzelte mit den Augen, als wüsste sie nicht, wo und wer sie war. Doch sie erkannte mich wieder und lächelte. Dir bedeutet das nichts - für einen Menschen aber kann das Leuchten in den Augen einer geliebten Person alles bedeuten. Verstehst du? Sie hat mich erkannt, ehe sie sich selbst erkannte. Ich war der Beweis, dass sie am Leben war, dass sie existierte - dass sie existiert hat.«Ich bin hier», hatte ich zu ihr gesagt,«alles ist gut, mein Funke, du hast das Gleichgewicht verloren und bist hingefallen.»Überrascht fragte sie zurück:«Warum spielen sie nicht mehr, Jacomo? Ich will weitertanzen.»
    Ich pustete den Staub von dem roten Kleid. Dieser luftige, so unbedeutende und flüchtige Staub hat sie mir in Erinnerung gerufen. Ich kann kein Staubkorn mehr im Sonnenstrahl tanzen sehen, ohne dass gleichzeitig in meinem Kopf ihre Worte erklingen. Das Kleid war zerknittert, die Goldfäden des Leibchens gelöst. Sie hat es nach jener Nacht nie wieder getragen. Ich stand wieder auf. Auch ihr hatte ich geholfen, wieder aufzustehen - bloß ein kleiner Schwindelanfall, hatte ich den Musikern erklärt, die besorgt zu uns herübersahen. Spielt bitte weiter. Sie trug das rote Kleid mir zuliebe zum Fest. Wenn sie tanzte und durch den großen, weiten Saal zu schweben schien, bekam ich den Eindruck, eine Flamme aufleuchten zu sehen. Die Musiker spielten weiter. Wir aber folgten einer anderen Musik, einem anderen Rhythmus. Ich fasste sie um die Taille, sie hielt die Hände hinter meinem Nacken verkreuzt. Wir wirbelten durch den menschenleeren Raum, glitten über den glänzenden Marmorboden, den wir kaum berührten. Mir war, als könnte ich fliegen. Ich empfand höchste Glückseligkeit. Ein Taumel - der Körper bebte, ein Zucken durchfuhr mein Gehirn, dieses Zucken, das aus dem Innersten des Leibes zum
Kopf aufsteigt. Der Gedanke, der vom Körper Besitz ergreift, der Körper, der zum Gedanken wird, eine plötzliche Offenbarung, die den Körper beseelt, die das geheimste Innere preisgibt.
    Es war nicht mein Schrank, sondern ihrer. Herrenroben waren das nicht, sondern Kleidung aus Samt, Seide und Damast - Röcke, Mieder, Unterkleider, Umhänge und Pelze. Die ganze Zeit über haben sie hier gehangen, als warteten sie nur darauf, ausgeführt zu werden.
    Als der Moment gekommen war, ihre Wohnung zu räumen, behauptete Maddalena, ihr Dienstmädchen, die Kleider würden ihr gehören, die Herrin habe sie ihr versprochen. Doch wir wussten, dass sie log. Nichts hätte sie dieser Frau hinterlassen.«Sie sind Teil ihrer Aussteuer», hatte Faustina entschlossen entgegnet,«sie gehören uns.»Sie befahl Nastasio, die Sachen in unser Haus zu schaffen, würde man sie doch eines Tages als Aussteuer für
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