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Tintorettos Engel

Titel: Tintorettos Engel
Autoren: Melania G. Mazzucco
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ist, können wir von wahrer Freiheit sprechen.

    Zu heiraten war eine Pflicht gegenüber der Familie und dem Menschengeschlecht. Und das hieß auch gegenüber seinem Schöpfer. Ich hatte diese Pflicht jedoch hinausgezögert. Heiraten kann für einen Mann sowohl das Leben als auch seinen Tod bedeuten: Ist die Frau gut, bedeutet sie Glück für ihren Gatten, ist sie schlecht, bedeutet sie ein ewig währendes Sterben, das dich Tag für Tag aufzehrt. Ich hatte mich der Tochter von Marco Episcopi, meines besten Freundes, versprochen, und auch sie war mir versprochen worden. Doch sie war noch ein Kind. Noch musste sie heranwachsen, daher hatte ich Zeit. Dies genoss ich in vollen Zügen, ohne die Folgen zu spüren. Eile hatte ich nicht, mich um mein Fortleben zu sorgen, wusste ich doch, dass es früher oder später ohnehin geschehen würde - so wie das Fortleben von Bäumen, Insekten und Blumen. Das passiert eben. Die eitle Vorstellung, ein zweites Ich hervorzubringen, hat mich nie gereizt. Ich wollte durchaus Zeichen meiner Durchreise auf der Erde setzen, doch in Form von Erzeugnissen, nicht von Zeugungen. Ich wollte durch Begabung und nicht durch Besamung eine Welt des Lichts und der Figuren erschaffen, ihnen nicht nur ein vorübergehendes Leben schenken - und sie nicht jeden Tag erziehen, sättigen, pflegen und mich um sie ängstigen müssen. Ich sah es an meinem Vater. Seine Sorge um die Kinder hatte ihn anfangs in Fesseln gelegt und dann zugrunde gerichtet. An ihm - dem zu früh gealterten Mann mit traurigem, erloschenem Gesichtsausdruck - war nichts mehr von dem unternehmungslustigen Geschäftsmann zu erkennen, der mich großgezogen hat. Mein Los war das nicht.
    Meine Freunde haben sich entweder von ihren Frauen getrennt, nachdem sie ihre Pflicht der Fortpflanzung erfüllt hatten, oder haben nie geheiratet. Einige von ihnen, die die Vorzüge demütig gespreizter Schenkel für sich entdeckt hatten, vergnügten sich mit ihren Mägden, von deren Tugenden sie sich gern zwischendurch an einen Backtrog gelehnt überzeugten; andere wiederum frönten den Vorzügen goldverzierter Schenkel und hielten sich
in einer zweiten Wohnung teure Gespielinnen, deren Bett sie erst verließen, wenn sie vollständig gesättigt waren, und die sie sich häufig mit anderen teilten - wie auch die Kosten. Die einen wie die anderen schrieben mit ihren Gedichten und Liedern, die damals auch ich schätzte, gegen diesen teuflischen Fetisch namens Hochzeit an, gegen die gehörnten Ehemänner und die Lügen ihrer Gemahlinnen, gegen die Treue und den Geschlechtsakt in der Ehe; sie sangen Hymnen auf die Freiheit des männlichen Glieds, die geschmeidigen Öffnungen einer Zweitfrau und die Lust, ihr Rohr jeden Tag in einen anderen Ofen zu schieben. Ich kann keine Lieder schreiben. Ich habe mich schlichtweg von Frauen ferngehalten, die in mir Gefühle erweckten. Möglicherweise war ich tatsächlich, wie mir viele vorwarfen, unfähig, überhaupt welche zu empfinden. Ich befürchtete, wenn ich mich an eine Frau band, nicht mehr ausschließlich für die Malerei leben zu können. Ich wollte mir keine Ketten um den Hals legen, die mich erwürgten. Marietta aber hat sich nicht an mich gekettet, Herr. Sie hat mich befreit.
     
    Ihre Mutter war groß wie eine Amazone. Um ehrlich zu sein, war sie kräftig gebaut wie ein Mann, was mir besonders an ihr gefiel. Sie hatte breite, muskulöse Schultern, einen stämmigen Körper und stand mit beiden Beinen fest wie auf zwei Säulen. Zwei Stunden nachdem ich sie kennengelernt hatte, bin ich, ohne sie nach ihrem Namen gefragt zu haben, mit ihr ins Bett gegangen. Ich dachte, den bräuchte ich gar nicht erst zu wissen. Ich dachte, ich müsse nach einer halben Stunde wieder aufstehen und ihr drei Scudi auf das Kissen legen. Ich blieb jedoch die ganze Nacht, hörte, wie sie einen anderen Mann wegschickte, der wütend mit Händen und Füßen gegen die Haustür hämmerte. Noch im Morgengrauen trugen wir auf zerwühlten Bettlaken unsere Liebesspielchen aus.«Wer bist du, kleiner Mann?», fragte sie mich vergnügt, nachdem sie schließlich aufgestanden war und sich vor dem Spiegel das
lange Haar bürstete. Rot war es, wie ein gerade entzündetes Feuer.«Und du, wer bist du?», fragte ich zurück.
    Mit donnerndem Paukenschlag trat sie an einem eisigen Nachmittag im Januar in mein Leben, während rundherum Knallfrösche in die Luft hüpften. Ich begegnete ihr beim Stierkampf von San Felice. Für fünf Groschen hatte ich
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