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Tintorettos Engel

Titel: Tintorettos Engel
Autoren: Melania G. Mazzucco
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ausländischen Akzent, der aber einen gewissen Liebreiz hatte. Ich fragte sie, warum sie überhaupt gekommen sei, obendrein als Mann verkleidet.«Gern würde ich dir antworten, um besser zuschauen zu können und nicht immerzu beschaut zu werden, wie du es tust», sagte sie freimütig und sah mich prüfend an.«Doch ehrlicherweise muss ich sagen, dass es an meiner Arbeit liegt.»
    Die Menge zog uns vom Geländer weg und trieb uns zurück zur Arena. Da ich sie nicht verlieren wollte, hielt ich sie an ihrer Jacke fest.«Du gefällst mir», sagte sie.«Deine Haare und dein Bart sind so rotbraun wie deine Stadt. Wie Rost. Hier ist der Rost anders als in meinem Land. Er ist stärker als Stein, kann sich durchsetzen.»Auf einmal stürmte der Stier wieder auf uns zu, die Menge erhob sich und rannte blindlings los, wir prallten mit etlichen Knien, Ellbogen und Rücken zusammen, bis wir völlig außer Atem endlich in einer dunklen Hausunterführung standen, die in einen Kanal mündete. Ich küsste sie.«Auch deine Augen haben die Farbe deiner Stadt, sie sind so trüb wie diese Kanäle», sagte sie zu mir.«Trüb und ruhelos, was sich aber auf Grund befindet, kann man nicht erkennen. Wenn du mit mir kommst, ist es für mich so, als würde ich mit Venedig ins Bett gehen.»
    Ich folgte ihr. Zusammen mit einer blondhaarigen und von
Sommersprossen übersäten Freundin lebte sie in einer Wohnung, die auf einen düsteren Innenhof ging, versteckt in einem Labyrinth aus Gässchen hinter der Kirche San Bartolomeo. Sie wollte Cornelia genannt werden, doch ob das ihr richtiger Name war, habe ich nie erfahren. Sie kam aus Deutschland. Die Stadt kannte ich nicht: Als sie sie mir nannte, war ich zu abgelenkt, um sie zu behalten. Monate später, als ich sie erneut danach fragte, war es ihr nicht mehr wichtig. Bevor sie aus Deutschland weggegangen war, hatte sie sich versprochen, so lange in Venedig haltzumachen, bis sie ein kleines Vermögen angesammelt hätte, mit dem sie in ihre Heimat zurückkehren und das Leben einer Dame führen wollte. Sie wollte einen gutherzigen Mann heiraten, auf der Hauptstraße ihrer Stadt ein Holzhaus kaufen, viele Kinder bekommen und eine Druckerei, einen Handel mit Antiquitäten oder ein Weinlokal eröffnen. Doch jetzt, da sie mich gefunden hatte, wollte sie nicht mehr weg. Jetzt war Venedig ihre Heimat. Als ich wissen wollte, wie vielen anderen Venezianern sie das schon versprochen habe, schwor sie, es noch nie irgendwem gesagt zu haben. Ich aber war bereits über dreißig: Ich glaubte niemandem mehr - vor allem nicht mir. Ich persönlich schwor nie.
    Cornelia war die Tochter eines Druckers, der starb, noch bevor er ihr eine Aussteuer hinterlassen oder einen Mann aussuchen konnte. Eine Zeit lang hatte sie versucht, die Geschäfte ihres Vaters fortzuführen, doch sie war zu unerfahren, sodass ihr die Gläubiger innerhalb von zwei Jahren alles entrissen hatten. Etwa dreißig Bücher hatte sie noch retten können, mit denen sie nach Venedig auswanderte - in die Hauptstadt des Buches, wie ihr Vater zu sagen pflegte. Sie hatte gehofft, in der florierenden Verlagswirtschaft eine Anstellung zu finden. Es gab Dutzende Druckereien. Leider hat sie es nicht geschafft. Sie war allein, fremd, und sie war eine Frau. Eine alleinstehende und fremde Frau kann in Venedig durchaus zu Geld kommen - aber auf andere Art. Cornelia verstand es, Konversation zu betreiben, sie konnte gut
singen und war gut im Bett. Sie wusste, wie man das Leben eines Mannes versüßte. Weder forderte sie etwas von mir noch ich von ihr. Wir liebten uns, wie sich zwei Freunde liebten. Jeder achtete die Freiheiten des anderen.
    Ich verdiente nicht genug, um als einziger Verehrer Anspruch auf sie zu erheben. Die Nacht von Samstag auf Sonntag aber verweigerte sie mir nie, hielt sie vielmehr immer für uns frei, und auch ich versäumte keine einzige Verabredung. Dennoch zerfraß mich innerlich die Eifersucht, bereitete mir nichts auf der Welt mehr Trauer und Schmerz als das schwache Licht, das durch die geschlossenen Fensterläden ihrer Wohnung drang, wenn ich von der Begierde getrieben ohne Vorankündigung an einem anderen Tag vorbeikam und sie mit einem anderen im Bett war. Meinen Freunden erzählte ich lange Zeit nichts von Cornelia. Sie war mein Geheimnis und daher das Kostbarste, was ich je besessen habe. Obwohl oder gerade weil sie mir nicht gehörte.
    Nach zwei Jahren und dreißig Bildern gelang es mir, ihr ein eigenes Zuhause hinter der Kirche Santa
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