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Tinnef

Tinnef

Titel: Tinnef
Autoren: Andreas Pittler
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sie mit ihrer Arbeit fertig sind, um sodann die Tür wieder ordnungsgemäß zu verschließen.“
    „Aha. Und?“
    „Na, jetzt kommt’s. Ich frage mich natürlich, was das soll. Das heißt, ich frage ihn. Und er sagt mir, er musste auch alle Schubladen und Schränke aufbrechen, denn die Herren Offiziere suchten nach ganz bestimmten Materialien. Dokumente, Briefe, Pläne und dergleichen. Also, jetzt wird’s interessant, denke ich mir und frage, wem denn die Wohnung gehöre. ,Einem General‘, sagt er. ,Und der war nicht da?‘, frage ich. ,Nein, der soll gestern in Wien gestorben sein‘, sagt er. In Wien. Du beginnst zu ahnen, warum ich dich sofort sehen wollte?“ Dabei grinste Kisch breit.
    „Du willst von mir wissen, welcher General gestern das Zeitliche gesegnet hat?“
    Kisch nickte.
    „Genau genommen war es schon heute. Und es war kein General. Aber ich muss dich enttäuschen. Das obliegt strengster Verschwiegenheitspflicht. Da bin ich an meinen Amtseid gebunden.“
    „Das meinst jetzt aber nicht ernst, oder?“
    „Egon, so leid es mir tut, aber auf diese Geschichte musst du schon selbst kommen, denn wenn da etwas durchsickert, wissen die sofort, wer gesungen hat.“
    Kischs Augen weiteten sich: „Du warst in die Sache involviert?“
    Jetzt nickte Bronstein.
    „Verdammt, dann musst du mir wenigstens einen Hinweis geben.“
    „Du weißt, dass ich das nicht darf“, entgegnete Bronstein eine Spur zu laut, „lass uns lieber von etwas anderem reden. Kennst du eigentlich das Hotel Klomser in der Herrengasse? Das soll ganz wunderschön sein und einen hervorragenden Komfort bieten.“ Dabei zwinkerte er rasch mit dem rechten Auge.
    „Das Klomser“, echote Kisch. „Nein, das kenne ich nicht. Aber ich werd’s mir einmal anschauen.“
    „Mach das. Und jetzt zu etwas ganz anderem. Jetzt brauche nämlich ich deinen Rat.“ Spontan hatte Bronstein beschlossen, sein Herz ausgerechnet bei Kisch auszuschütten. Mit irgendjemandem musste er über Marie Caroline reden, und da Kisch sie kannte, würde es vielleicht leichter sein, von ihm eine Empfehlung zu bekommen, wie er sich nun weiter verhalten sollte.
    Kisch war noch nicht gewillt, von seiner Geschichte zu lassen, doch Bronstein überrollte ihn bereits mit Details zu der seinen, sodass er schließlich seinen Widerstand aufgab und sich Bronsteins Anliegen anhörte. Aber je länger Bronstein von seiner Seelenpein berichtete, desto offensichtlicher wurde ihm, dass Kisch in Gedanken ganz woanders war. Er begnügte sich daher mit dessen Allerweltsfloskeln, da er erkannte, mehr würde er von ihm an einem Abend wie diesem ohnehin nicht erwarten dürfen. Zumal: Nur weil sich einer in der Welt auskannte, musste er noch lange nicht wissen, wie man mit Liebesleid umging. Und insofern war es wohl klüger, einfach nach Hause zu gehen, sich ins Bett zu legen und dort beim Lecken der eigenen Wunden darauf zu warten, dass ein gnädiger Schlaf einen davon befreite, weiter im Grübeln zu versinken.

XI.
Montag, 26. Mai 1913
    Eigentlich konnte Bronstein nicht sagen, weshalb der Montag so schnell entschwunden war, doch ehe er sich’s versah, schlugen die Uhren der Stadt fünf Uhr, und er betrat das Café Herrenhof, wo Kisch schon, wie am Vorabend vereinbart, auf ihn wartete.
    „Du wirst nicht glauben, was ich alles in der Zwischenzeit herausgefunden habe. Die ganze Sache ist ja absolut unglaublich!“
    Ja, damit hatte er fraglos recht, der Kisch, dachte sich Bronstein und setzte sich zu seinem Freund, nachdem er bei der eben vorbeieilenden Bedienung einen Pharisäer bestellt hatte. Kisch kramte unterdessen in seiner Ledertasche und zauberte eine Ausgabe des „Prager Tagblatts“ hervor: „So haben wir sie drangekriegt, die Hochwohllöblichen.“ Dabei deutete er mit dem Zeigefinger auf eine kurze Notiz. Bronstein las: „Von hervorragender Seite werden wir um Widerlegung der speziell in Offizierskreisen aufgetauchten Gerüchte ersucht, dass der Generalstabschef des Prager Korps, Oberst Redl, der bekanntlich vorgestern in Wien Selbstmord verübt hat, einen Verrat militärischer Geheimnisse begangen und für Russland Spionage getrieben habe. Die nach Prag entsandte Kommission, bestehend aus einem Obersten und einem Major, die am Sonntag in Gegenwart des Korpskommandanten Baron Giesl die Dienstwohnung des Obersten Redl und die Schubfächer öffnen ließ, hatte nach Verfehlungen ganz anderer Art zu forschen.“ Kisch grinste: „Das haben wir heute veröffentlicht.“
    Bronstein
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