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Tiger Eye

Titel: Tiger Eye
Autoren: Marjorie M. Liu
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befehlt mir, ihn Euch zu nennen.« Dela erschauerte beim Klang seiner Stimme. Sie war tief, rau und beinah unerträglich kalt. Und es war keineswegs die Stimme einer Einbildung.
    Er presste die Lippen aufeinander. Dela gewann den Eindruck, dass er trotz seiner herausfordernden Worte tatsächlich darauf wartete, dass sie ihm befahl, seinen Namen zu nennen. Seine Haltung war atemberaubend. Seine Größe und Kraft hätten das leichte Zittern verbergen können, wäre Dela ihm nicht so nahe gewesen. Dieses kaum wahrnehmbare Beben löste ein merkwürdiges Gefühl in ihr aus, und ihr Ärger legte sich.
    Ein ganz kleines bisschen jedenfalls.
    »Spiel nicht das Arschloch!«, fuhr sie ihn an und verrenkte sich fast den Hals, um den Augenkontakt zu halten. »Ich weiß nicht, wie du hierher gekommen bist und wer du bist, aber du siehst mich an, als wäre ich Rattenscheiße, und ich weiß sehr gut, dass ich das nicht verdiene. Also sei wenigstens höflich. Du weißt doch, was das ist, oder?« Sie wollte ihn mit ihren Beleidigungen reizen. Wenn er ihr wehtun wollte, war jetzt genau der richtige Zeitpunkt dafür. Dela glaubte fest daran, dass man solche Dinge am besten sofort klärte.
    Ein beinahe verwirrter Ausdruck flog über das Gesicht des Mannes, verschwand jedoch sofort wieder hinter seiner kühlen Maske. Der Widerwille wich jedoch allmählich aus seinem Blick und wurde von etwas Finstererem, aber viel Reinerem ersetzt. Einem engen Verwandten der Neugier: dem Zorn.
    Kriegerisch hob Dela ihr Kinn. Sie verlangte eine Antwort und signalisierte ihm dies nur durch ihren Blick und ihre Körperhaltung. Etwas in ihrem Inneren kreischte zwar noch immer vor Angst, aber sie versuchte, ihre Furcht einfach auszuschalten. Wenn sie Schwäche zeigte, lud sie ihn nur zu weiteren Einschüchterungsversuchen ein.
    Honey, du bist eingeschüchtert! Denkst du tatsächlich, der Kerl hält sich zurück, weil du dich so cool gibst? Das glaubst du doch selber nicht! Er könnte dich mit dem kleinen Finger erledigen.
    »Ihr wollt mir nicht befehlen, meinen Namen zu nennen?« Seine Stimme grollte wie das Echo eines fernen Donners. »Was befehlt Ihr dann?«
    Dela starrte ihn an und wusste nicht, ob sie lachen oder schreien sollte. Die ganze Situation war geradezu surreal. »Nichts. Ich befehle dir gar nichts.« Sie betrachtete ihn von Kopf bis Fuß, sah vielsagend auf seine Waffen. »Wie sollte ich das wohl fertigbringen, hm?«
    Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Ihr sagt, dass es keine Schlacht zu schlagen gibt und keine Person, die ich für Euch töten soll?«
    Seine Worte klangen so sachlich, dass es Dela eiskalt über den Rücken lief. Sie hob die rechte Hand, während sie mit der Linken das Handtuch krampfhaft zusammenhielt. »He, Moment mal. Wer redet davon, jemanden umzubringen?«
    Seine Lippen wurden weiß, als er sie kurz fest zusammen-presste. »Verstehe«, sagte er dann. Und musterte sie von oben bis unten mit einem abschätzigen Blick, von dem sie sich aber eigenartigerweise nicht herabgesetzt fühlte. »Wenn ich nicht kämpfen oder töten soll, habt Ihr mich also gerufen, um Euren Körper zu erfreuen.« Er sah aus, als würde er sich lieber von einem Nagelbrett aufspießen lassen.
    Einen Moment verschlug es Dela die Sprache. Er schien ihr Schweigen als ein schallendes »Ja« zu deuten. Mit kurzen, wirksamen Bewegungen knöpfte er seinen Harnisch auf, als wollte er sagen: Bringen wir den Job hinter uns, und reden wir nicht lange über Befehle, hm?, dachte Dela.
    Dann kam er auf sie zu. Sein Gang war erstaunlich geschmeidig und lenkte Dela ab, so lange, bis er unmittelbar vor ihr stand. In letzter Sekunde wich sie seiner ausgestreckten Hand aus, schüttelte heftig den Kopf und trat bis zur Wand zurück.
    »Nein, nein, nein. Hör auf. Hör auf! Ich will nicht... dass du... dass du meinen Körper erfreust. Bleib mir vom Hals. Bleib stehen!«
    Der Mann blieb wie angewurzelt stehen. Seine Miene schien undurchdringlich. Einen Moment lang fühlte sich Dela zwischen ihm und der Wand gefangen, zerbrechlich und zart, eine Atempause, in der sie nur zwei Menschen waren, die über die Absurdität der Welt staunten.
    Der Augenblick verstrich. Er trat mit einem langen Schritt von ihr zurück, machte noch einen, bis der ganze Raum zwischen ihnen lag. Zitternd stieß Dela den Atem aus. Sie hätte den Tag am liebsten zurückgespult und von vorn angefangen. Allerdings wäre sie dann im Bett geblieben und hätte sich die von der Regierung
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