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Tiepolos Fehler: Kommissar Kilians erster Fall

Tiepolos Fehler: Kommissar Kilians erster Fall

Titel: Tiepolos Fehler: Kommissar Kilians erster Fall
Autoren: Roman Rausch
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seine Haut freiwillig zu Markte trug. In diesem Fall in der Via di Pré, wo er schon nach zwanzig Metern am ersten Stand in seinen aufgeschlitzten Bauchbeutel griff.
    Die Sonne war seit einer Viertelstunde hinter dem Porto Vecchio untergegangen. Der rote Streif verlor sich am Horizont, und der Gestank von Diesel und Salzwasser verflog allmählich. An der Hafenmole reihten sich vergammelte Fischerboote aneinander, die zusammengeschusterten Netze waren zum Trocknen aufgespannt. Aus den Kajüten drang fetter, fauliger Dunst, eine Mischung aus Tabak, Fischinnereien, Pesto und gebratenem Gemüse.
    Kilian hätte tausendmal lieber über den Dächern der Stadt vor einer Flasche Tignanello und einem Teller Scampi gesessen, als sich im neuen Armani-Anzug an der Via di Gramsci die Beine in den Bauch zu stehen. Er lauerte Galina auf. Sie war der Schlüssel zu Sergej und der Lohn für ein Jahr aufreibender Ermittlungsarbeit. Nur über sie konnte er an ihn herankommen – das Phantom Sergej. Sein Gesicht, das in keinem Computer von Interpol gespeichert war und das man nur aus Erzählungen kannte, sein Einfluss, der hohe Regierungsbeamte aus der Mittagsruhe holte, und sein Geld, das über Sein oder Nichtsein entschied. Was Sergej sagte, war Gesetz. Für viele vernichtend, sofern sie nicht gehorchten. Galina war sein Fleisch gewordener Wille. Wenn sie sprach, befahl der Herr.
    Ein einziges Mal hatte Kilian sie bisher zu Gesicht bekommen. Nur kurz, vor wenigen Tagen, als sie mit zwei Leibwächtern durch die engen Gassen der Altstadt flanierte. Wie Kegel stoben die meckernden Touristen auseinander, wenn sie den Weg für Galina freimachten. Es war ihr Terrain, und daran ließ sie keinen Zweifel.
    Selbst die Carabinieri respektierten sie als feste Größe im Hafenviertel. Kein Wunder, denn Galina sorgte für Ordnung, wo sie keinen Einfluss mehr hatten. Sie half, wo der Staatssäckel verebbte, und sie entschied, wenn sich die mächtigen Familien in den Haaren lagen. Sie war das Regularium, wenn niemand mehr helfen wollte und die Vendetta drohte. Dafür durfte sie ihren Geschäften nachgehen, ohne ernsthafte Verfolgung befürchten zu müssen. Jedoch gab es auch für sie eine Grenze. Kein Carabiniere durfte sein Leben verlieren. Kilian konnte das akzeptieren. Ohne die andere Seite ging auf Dauer nun einmal nichts.
    Es war aber sein Job, den Galinas und Sergejs das Handwerk zu legen. Dafür war er ausgebildet worden, dafür hatte Europol ihn nach Barcelona, Marseille und schließlich nach Genua geschickt. Immer auf der Spur Sergejs und Galinas. Sie hatten ihr Verteilernetz über den ganzen Mittelmeerraum gespannt. Gespeist wurde es von Sewastopol aus. Sergejs Familie genoss dort vor und nach der Oktoberrevolution die besten Geschäftskontakte. Und das änderte sich nicht, auch nicht nach Glasnost und Perestroika mit den neuen Genossen, die Geschmack am Westen und an der Marktwirtschaft gefunden hatten. Die Krim war seine Burg, sein Hafen, aber auch heilige Erde. Denn er war stolzer Tatare.
    Nie zuvor war Kilian ihm so nahe gekommen. Heute Nacht würde er sich ihm zeigen. Sergej hatte einen Schatz im Angebot. Einen vergoldeten und mit Edelsteinen besetzten Schrein aus dem Grab eines ägyptischen Königs, der im Sturm auf Berlin in die Hände der einmarschierenden Roten Armee gefallen war und über Asien, Südamerika und Europa schließlich wieder in Sergejs Fänge geraten war. Amerikaner, Araber oder Japaner würden jede erdenkliche Summe dafür zahlen. Aber Sergej musste sich beeilen. Der Schrein war nur schwer vor den Augen seiner Helfer zu verbergen. Lagerung und Transport waren ein zusätzliches Problem. Das Ding wog gut eine Tonne.
    Kilian sollte im Auftrag von Europol und des LKA München den Schrein für die Europäer sicherstellen, bevor ihn die anderen in die Finger bekamen und er auf immer in einer privaten Sammlung verschwinden würde.
    Kilian nahm einen letzten tiefen Zug von seinem Zigarillo. Es war bereits halb elf. Galina hätte sich schon längst zeigen müssen. Sein Informant war sicher, dass sie an diesem Abend ins La Gondola kommen würde. Nur wie sicher war »sicher« nach Genoveser Definition? Pendini riet zum Abwarten. Er war sein Kontaktmann vor Ort und Leiter der italienischen Sondereinheit für organisierte Kriminalität. Im Einsatzzentrum wartete das Sonderkommando auf Kilians Zeichen, wenn ihn Galina zum Schrein und somit zu Sergej führte. Doch zuvor musste sie sich erst mal zeigen. Vorher wollte Pendini die
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