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Tiepolos Fehler: Kommissar Kilians erster Fall

Tiepolos Fehler: Kommissar Kilians erster Fall

Titel: Tiepolos Fehler: Kommissar Kilians erster Fall
Autoren: Roman Rausch
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kringelten. Ein Blitz von draußen erhellte die bizarre Szenerie schlagartig. Er starrte für einen Moment in die schmalen Gesichtszüge eines jungen Mannes. Seine dünnen Lippen waren zu einem wirren Lächeln verzogen, die schmale Nase führte zu einem Augenpaar, das durch zwei dünne, für einen Mann außergewöhnlich gepflegte Augenbrauen eingerahmt war.
    »Che cosa c’è?«, fragte der junge Mann übertrieben freundlich. Dabei zog er das è gekünstelt in die Höhe. Die Lippen versprachen dem Wachmann Hilfe, doch die Augen blieben kalt.
    »Wer … wer sind Sie?«, wollte der Wachmann wissen.
    »Sono il maestro.«
    Dieses Mal veränderte er die vorher helle Stimme zu einem dunklen Bass. Er legte seine von einem farbverschmierten Handschuh verhüllte Hand auf die Schulter des Wachmannes und hielt sie umklammert.
    Der Wachmann schaute verdutzt der noch immer lächelnden Gestalt ins Gesicht, wartend, was als Nächstes geschehen würde.
    Langsam erhob sich die andere Hand. Sie hielt etwas Gebogenes, Helles, mit einer scharfen Spitze. Eine Feder. Als der Arm ganz ausgestreckt war, schoss er herab. Die Feder bohrte sich in den Hals des Wachmannes. Durch die Wucht des Stoßes drohte dieser über die Balustrade zu fallen. Seine Augen
    waren weit aufgerissen, aus seinem Mund traten schaumiges Blut und ein kehliges Röcheln, das im aufstoßenden Blutschwall schnell erstickte. Der dünne Faden verlor sich im fahlen Lichtschein hinab ins Dunkel, mit einem Ruck folgte der schwammige Körper. Der Aufschlag war dumpf. Eine Holzlatte brach.
    Oben an der Balustrade hielt die Gestalt die Feder in das einfallende Straßenlicht. Einem Thermometer gleich, sog sich das Blut am Schaft entlang in die Höhe und verteilte sich nach außen in die Federn. Das Rot begann die Gestalt zu begeistern, und die Bewunderung wuchs im Tempo des aufsteigenden Saftes.
    »Che rosso!«, rief sie aus, als ein Blitz das Treppenhaus in gleißendes Blau tauchte und der Donner des Gewitters die Fenster erschütterte.

2
    Sie zu warnen wäre sinnlos gewesen. Ihre selbstgerechte Überheblichkeit ließ es nicht zu. Jeder wusste, was hier vor sich ging. Dass man nicht den Hauch einer Chance hatte. Dafür waren die Jungs zu gut. Ihr System war einfach, beruhte auf Menschenkenntnis und einem sicheren Auge. Es gab keinen Trick im Spiel der drei Scheiben. Nichts geschah jemals verdeckt. Alles passierte direkt vor ihren Augen. Jede Bewegung konnte eingesehen werden. Den einzigen Vorwurf, den man ihnen machen konnte, war, dass sie unbarmherzig mit den Geldtaschen umgingen. So nannten sie sie. Nicht
Monsieur, Mister
oder
Mein Herr
, sondern einfach nur Geldtaschen. Denn mehr waren sie in ihren Augen nicht wert.
    Kilian hegte eine fast selbstverständliche Sympathie für sie. Nicht, dass er es nach außen gutheißen konnte, was sie da mit den Müller-Lüdenscheids, Smiths und Le Grands anstellten. Das verbot ihm sein Auftrag als Gesetzeshüter. Aber er schätzte ihr Können. Die Kunst, das Auge zu verführen. Es in eine Richtung zu lenken, es zu täuschen und zu unterhalten. Reihenweise ließen sie sich unter der Sonne Genuas von den Scheibenspielern ausnehmen. Jeder wettete, dass er zwischen weiß und schwarz unterscheiden konnte. Doch am Ende mussten sie zahlen und fortan schweigen.
    Genuas Porto Vecchio lebte nach einer einfachen Regel. Sie basierte auf dem kollektiven Einverständnis, die Kuh zu melken, solange sie sich auf der Weide befand. Das war legitim. Jeder machte das. Auch er, wenn er in seine zahllosen Masken schlüpfen musste, um die entscheidende Information zu bekommen, die Quelle des Verrats auszumachen oder einfach nur, um sich zu schützen.
    Es war kurz nach 22.00 Uhr. Die Schiffe spuckten ihre Ladung aus. Tagesausflügler prahlten mit dem Tand, den sie bei fliegenden Händlern erstanden hatten. Deutsche und englische Touristen schoben sich an ihm vorbei. Ab und zu ein Schweizer. Doch in der Hauptsache deutsche Geldtaschen, prall gefüllt mit Weitwinkelobjektiven, surrenden Videokameras und Portemonnaies.
    Ein Deutscher – Kilian schätzte ihn auf fünfzig Jahre –, Berliner, hatte sich in der weit verzweigten Altstadt mit unzähligen kleinen Fluchtgassen verloren und schrie nun verzweifelt nach den Carabinieri. Aus seinem Mund sprudelten Flüche und Verwünschungen, schließlich Niedergeschlagenheit, da er einsehen musste, dass sich niemand für ihn interessierte. Genovesen und Carabinieri hatten nur mitleidiges Kopfschütteln für einen übrig, der
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