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Tiefe

Tiefe

Titel: Tiefe
Autoren: Henning Mankell
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verabscheute.
    Anders Höckert zeigte ihm seine Kabine, die gleich unter dem Niedergang an Backbord lag, mit direkter Verbindung zur Kommandobrücke und der Abschußzentrale der Kanonen.
    Anders Höckert hatte ein Muttermal im Nacken, knapp über dem Kragen.
    Lars Tobiasson-Svartman kniff die Augen zusammen und fixierte das Muttermal. Wie immer, wenn er am Körper eines Menschen Leberflecke entdeckte, versuchte er zu sehen, was sie darstellten. Sein Vater, Hugo Svartman, hatte eine Gruppe von Muttermalen am linken Oberarm gehabt. In seiner Phantasie war es ein Archipel aus namenlosen kleinen Inseln, Felsen und Schären. Die weißen Haare bildeten die Fahrrinnen, die sich begegneten und einander kreuzten. Wo auf dem linken Arm seines Vaters verlief die tiefste Fahrrinne? Wo wäre es am sichersten, ein Schiff entlangzusteuern?
    Das geheime Gespür fürs Lot, für Maße und Entfernungen, das sein Leben prägte, hatte seinen Festpunkt in Bildern und Erinnerungen an die Muttermale des Vaters.
    Lars Tobiasson-Svartman dachte bei sich: Ich suche immer noch nach unbekanntem Grund in mir, nach nicht vermessenen Tiefen, unerwarteten Hohlräumen. Auch in mir selbst muß ich ein sicheres Fahrwasser kartographieren und bezeichnen.
    Anders Höckerts Muttermal glich einem Stier, kampfbereit, die Hörner gesenkt.
    Anders Höckert öffnete die Tür der Kabine. Lars Tobiasson-Svartman hatte einen geheimen Auftrag und konnte daher die Kabine nicht mit einem anderen Offizier teilen.
    Das Gepäck, die Kartenrollen und das braune Futteral mit dem Seevermessungsinstrument standen schon im Geräteraum. Anders Höckert salutierte und verließ die Kabine.
    Lars Tobiasson-Svartman setzte sich in die Koje und ließ sich von der Einsamkeit umfangen. Im Rumpf vibrierten die Kessel, die nie ganz gelöscht waren, selbst wenn das Schiff am Kai lag. Er sah durch das Bullauge hinaus. Der Himmel war plötzlich blau, der Regen war vorübergezogen. Das machte ihn froh, oder vielleicht erleichterte es ihn. Der Regen beschwerte ihn wie fast unsichtbare kleine Gewichte, die gegen seinen Körper schlugen.
    Für einen kurzen Augenblick überfiel ihn die Sehnsucht, das Schiff zu verlassen.
    Er rührte sich nicht.
    Langsam begann er, seine Koffer auszupacken. Jedes Kleidungsstück hatte seine Frau sorgfältig ausgewählt. Sie wußte, welche Sachen er am liebsten trug und bei sich haben wollte. Sie hatte sie mit liebevollen Bewegungen zusammengefaltet.
    Trotzdem kam es ihm jetzt so vor, als hätte er keins der Kleidungsstücke je gesehen oder in den Händen gehalten.
    Das Panzerschiff Svea verließ den Galärvarvskaj am selben Abend um 18 Uhr 15. Um Mitternacht, als sie die äußeren Schären passiert hatten, wurde ein südsüdöstlicher Kurs fgenommen und die Geschwindigkeit auf 12 Knoten erhöht. Es blies ein stark böiger Nordwind, 8 bis 12 Meter pro Sekunde.
    Lars Tobiasson-Svartman umklammerte in dieser Nacht ;in Lot fest. Seine Gedanken kreisten um seine Frau und ihre duftende Haut. Hin und wieder dachte er auch an den Auftrag, der ihn erwartete.
    Im Morgengrauen, nach einem unruhigen Schlaf mit unlaren und entgleitenden Träumen, verließ er die Kabine und ging an Deck. Er stellte sich in Lee an eine Stelle, die von der Kommandobrücke aus nicht zu überblicken war.
    Eins seiner Geheimnisse verbarg sich in einer der Kar-nrollen, die in seiner Kabine lagen. Dort verwahrte er die Werftzeichnung der Svea. Das Schiff war vom Schiffsbauleister Göthe Wilhelm Svenson auf der Werft von Lindolmen konstruiert worden. Nach seiner Zeit als Ingenieur eim Königlichen Marineingenieurskorps 1868 hatte er eine "staunliche Karriere als Schiffskonstrukteur gemacht. 1881, Alter von dreiundfünfzig Jahren, war er zum Präsidenten es Marineingenieurskorps ernannt worden.
    Am selben Tag, an dem Lars Tobiasson-Svartman vom larinestab den Bescheid bekam, daß die Svea für den ransport zu seiner geheimen Kommandosache bestimmt 'ar, schrieb er an Ingenieur Svenson und bat um eine Kopie der Konstruktionszeichnungen. Als Grund gab er ein eingefleischtes und möglicherweise ein wenig lächerliches ammlerinteresse an Zeichnungen von Kriegsschiffen« an. Er war bereit, tausend Kronen für die Zeichnungen zu zahlen.
    Drei Tage später kam eine persönliche Botschaft aus Göteborg. Der Mann, der die Zeichnungen ablieferte, hieß Tange und war Kontorist. Er trug offensichtlich seine Sonntagskleidung. Lars Tobiasson-Svartman nahm an, daß Ingenieur Svenson ihn angewiesen hatte, sich in
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