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Tiefe

Tiefe

Titel: Tiefe
Autoren: Henning Mankell
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acht Knoten.
    Fünf Knoten bedeutet Frieden, dachte er. Sieben Knoten ist eine geeignete Geschwindigkeit, wenn man in einem geleimen und eiligen Auftrag ausgesandt wird. 27,8 Knoten Dedeutet Krieg. Das ist die höchste Geschwindigkeit, die die Goeben erreicht, obwohl ihre Dampfmaschinen nach hart-äckigen Gerüchten an einem Konstruktionsfehler leiden, ier zu einem schwerwiegenden Leck führt.
    Ihm kam der Gedanke, daß man den Punkt vorhersagen kann, an dem ein Krieg begonnen, aber nie, wann er enden wird.
    Von Steuerbord aus, wo er unter der Treppe versteckt stand, sah man die Landlinie im Licht der Morgendämmerung. Felsinseln und äußere Schären stiegen und sanken in der rauhen See.
    Hier beginnt und endet ein Land, dachte Lars Tobiasson-Svartman. Doch die Grenzlinie ist gleitend, es gibt keinen exakten Punkt, an dem das Meer endet und das Land beginnt. Die Felseninseln sind über der Meeresoberfläche kaum sichtbar. In früheren Zeiten hatten die Seeleute diese Klippen und Felsbuckel für merkwürdige und entsetzliche Wasserungeheuer gehalten. So kann ich mir auch diese Klippen vorstellen, die langsam aus dem Meer steigen wie Tiere. Aber sie erschrecken mich nicht. Für mich sind diese Klippen, die zwischen den brechenden Wellen auftauchen, nichts anderes als nachdenkliche und völlig harmlose Flußpferde, von einer Art, die es nur in der Ostsee gibt.
    Hier beginnt und endet ein Land, dachte er wieder. Ein Felsen, der bedächtig seinen Rücken streckt. Ein Felsen, der Schweden heißt.
    Er ging vor zur Reling und schaute in das bleigraue Meer, das entlang der Wasserlinie des Zerstörers strudelte. Das Meer weicht nie zurück, dachte er. Das Meer verkauft nie seine Haut. Im Winter ist es wie gefrorene Haut. Der Herbst ist Stille, Erwartung. Plötzliche Ausbrüche heulender Winde. Der Sommer ist nichts anderes als ein flüchtiges Aufblinken im spiegelglatten Wasser.
    Das Meer, die Landhebung, all das Unbegreifliche, ist wie die langsame Bewegung von der Kindheit bis zum Alter und zum Tod. In allen Menschen findet eine Landhebung statt. Aus dem Meer kommen all unsere Erinnerungen.
    Das Meer ist ein Traum, der nie seine Haut verkauft.
    Er lächelte. Meine Frau will es mir nicht zeigen, wenn sie weint. Vielleicht will ich ihr aus denselben Gründen, welche es nun auch sein mögen, nicht zeigen, wer ich bin, allein mit dem Meer.
    Er kehrte zu seinem Platz in Lee zurück. Am Heck leerte ein verfrorener Matrose einen Eimer mit Essensresten ins Wasser. Möwen folgten dem Kielwasser des Schiffs wie eine wachsame Nachhut. Das Deck war wieder leer. Er betrachtete weiterhin die Felseninseln. Das Morgenlicht wurde stärker.
    Die Felsen und Inseln sind nicht nur Tiere, dachte er. Sie sind auch Steine, die sich vom Meer loslösen. Es gibt keine Freiheit ohne Anstrengung. Aber diese Steine sind auch Zeit. Steine, die sich langsam aus dem Meer erheben, das niemals zurückweicht.
    Er nahm eine Berechnung des Standorts vor. Vor elf Stunden hatten sie Stockholm verlassen. Er berechnete erneut die Geschwindigkeit und korrigierte sie auf neun Knoten. Sie befanden sich im nördlichen Schärengebiet von Östergötland, südlich von Landsort, nördlich vom Leuchtfeuer von Häradskär, südlich oder östlich von Fällbädarna.
    Er kehrte in seine Kabine zurück. Außer dem Matrosen hatte er niemanden von der großen Besatzung des Schiffs gesehen. Und natürlich hatte niemand ihn selbst oder sein Versteck entdeckt.
    Er betrat die Kabine und setzte sich auf den Rand der Koje In dreißig Minuten würde er in der Offiziersmesse früh stücken. Um halb zehn sollte er sich im privaten Salon de Befehlshabers einfinden. Fregattenkapitän Hans Rake sollt ihm die geheimen Instruktionen überreichen, die bisher in Tresor des Schiffs eingeschlossen waren.
    Er fragte sich plötzlich, warum er so selten lachte. Wessen war er beraubt worden? Warum dachte er so oft, ei sei aus schlechtem Erz gegossen ?
    Er saß auf dem Rand der Koje und ließ den Blick langsam in der Kajüte herumwandern.
    Sie maß zwei mal drei Meter, wie eine Gefängniszelle mit einem in Messing gefaßten Bullauge. Unter dem Geräteraum lag der Korridor, der die verschiedenen Teile des Schiffs miteinander verband. Nach der Konstruktionszeichnung, die er sich bis ins kleinste Detail eingeprägt hatte, gab es auch zwei wasserdichte senkrechte Schotten links von der Kajüte, aber zwei Meter tiefer im Schiff. Über seinem Kopf verlief die Treppe, die zur Mittschiffskanone an Steuerbord
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