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Sam & Emily: Kleine Geschichte vom Glück des Zufalls (German Edition)

Sam & Emily: Kleine Geschichte vom Glück des Zufalls (German Edition)

Titel: Sam & Emily: Kleine Geschichte vom Glück des Zufalls (German Edition)
Autoren: Holly Goldberg Sloan
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1
    Die Wochentage waren ihm einerlei.
    Mit Ausnahme des Sonntags.
    Denn sonntags lauschte er dem Klang von Orgeln und Klavieren. Und, wenn er Glück hatte, von Handglocken, hämmernden Trommeln und elektronischen Taktmaschinen, die den Gesang der Leute begleiteten, ihr Klatschen und gelegentlich sogar das Stampfen ihrer fein beschuhten Füße.
    Sonntags stand Sam Border – wo immer er sich aufhielt, wann immer es ihm möglich war – früh auf, zog das reinste seiner schmutzigen Hemden an und machte sich auf die Suche nach einer Kirche.
    Von Religion hielt er nicht viel.
    Es sei denn, man betrachtete Musik als eine Form von Religion. Er hielt nicht viel von ihr, da er wusste, dass Gott, falls es denn einen gab, schlicht nicht auf seiner Seite stand.
    Sam kam immer erst, wenn alles längst begonnen hatte. Und ging auch wieder, bevor der Gottesdienst zu Ende war. Er saß ganz hinten, denn er war nur hier, um sich die Noten der Musik bildlich vorzustellen. Und um sich vielleicht beim Hinausgehen einen glasierten Donut oder einen klebrigen Keks zu greifen.
    Versuchte jemand, ihn anzusprechen, nickte er ihm einen Gruß zu und fügte notfalls noch ein »Friede sei mit dir« hinzu. Doch Sam beherrschte die Kunst, sich unsichtbar zu machen, bis zur Vollendung und so war er selbst als kleiner Junge meist schon in Ruhe gelassen worden.
    ***
    Es waren vor allem Geräusche, die er – erinnernd – mit den Dutzenden von Städten verband, in denen er gelebt hatte.
    Selbst Junction City, wo er einen ganzen Winter verbracht und einen Freund gefunden hatte, war inzwischen verblasst und in Erinnerung blieb nur das Plinggeräusch des Regens, der auf das Metalldach ihres Appartementhauses gefallen war. Es befand sich in unmittelbarer Nähe der Straße, in der die Stadt ihre vielen lärmenden Lkws abstellte.
    Das lag nun schon drei Jahre zurück. Und fünfzehn Städte. Ein anderes, längst vergangenes Leben.
    Nach Junction City hatten sie sich eine Weile in der Nähe von Reno aufgehalten. Und danach in einem Wohnwagen, der so schepperte, als würden sich sämtliche Schrauben gleich lösen und alle verrosteten Metallteile auseinanderfallen.
    Der Wohnwagen stand in Baja California und es lebte sich darin wie in einem Karton, was einem von Sams vielen und stets wiederkehrenden Albträumen entsprach. Die fünf Monate südlich der Grenze hatten ihm trotzdem gefallen.
    Als Amerikaner war man hier nämlich automatisch Außenseiter, und blickte Sam auf die Bruchstücke seines zerrütteten Lebens zurück, hatte er an diesem Ort wohl zum allerersten Mal das Gefühl gehabt, er könne entspannen. Er war anders als die anderen. Davon ging man hier aus.
    Aber selbst das Gefühl hierherzupassen, weil er nicht zu den anderen passte, war nicht von langer Dauer.
    Denn als Sam eben anfing, Spanisch zu lernen und zu durchschauen, wie die Sache mit dem Schwimmen funktionierte, ging sein Vater wieder mit ihnen in die Staaten zurück.
    Davor war Sam wochenlang gleich nach Sonnenaufgang, wenn sein Bruder und sein Vater noch schliefen, hinunter zu den tosenden Wellen am Strand gelaufen. Sich selbst etwas beizubringen, war nicht einfach, besonders, wenn es sich um etwas handelte, das einen das Leben kosten konnte, wenn es dumm lief.
    Am Anfang ging er nur bis zu den Knien ins Wasser. Doch nach und nach wagte er sich bis in die Dünung vor und bewegte dabei die Arme in den kalten Wellen genau so, wie er es bei den anderen Leuten aus der Ferne beobachtet hatte.
    Er war sich ziemlich sicher, dass er dabei wie ein richtiger Idiot aussah.
    Aber es gelang ihm jedes Mal wieder, an den Sandstrand zurückzukehren, sogar an jenem Morgen, als der Ozean plötzlich einen anderen Gang einlegte und ihn mit sich fortzog, die Küste entlang. Sam war es vorgekommen, als habe er über Meilen hinweg mit den Armen auf die Wellen eingeschlagen, wie ein Verrückter mit den Beinen gestrampelt und dabei einen Schwall eisigen Salzwassers nach dem andern geschluckt.
    Es gelang ihm, weil etwas in ihm steckte, das einfach weiterkämpfte, selbst als er schon aufgeben wollte.
    Nach diesem Tag war Sam überzeugt davon, wenigstens ein einziges Mal richtig schwimmen gewesen zu sein. Aber wahrscheinlich würde auch diese Erfahrung und was er aus ihr gelernt hatte, wieder verschwinden – wie so manches, das unter der Willkürherrschaft seines Vaters gekommen und wieder gegangen war. Es gab so vieles, was Sam ein Rätsel war. Nicht weiter erstaunlich, wenn man schon nach der zweiten Klasse von
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