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Tiefe Wunden

Titel: Tiefe Wunden
Autoren: Nele Neuhaus
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bekommen. Vergeblich. Für ihn musste die Erkenntnis, schamlos ausgenutzt worden zu sein, am bittersten sein. Dennoch brachte Marleen kein Mitleid für ihn auf.
    »Setz dich doch einen Moment hin«, sagte Katharina hinter ihr. Marleen schüttelte den Kopf.
    »Dann werde ich verrückt«, erwiderte sie. Katharina hatte ihr alles erzählt: die Sache mit der Kiste, Thomas’ unheilvolle Idee mit der Biographie und wie ihn die Tagebücher darauf gebracht hatten, dass Vera nicht die war, für die sie sich ausgab.
    »Wenn Thomas etwas zugestoßen ist, werde ich das meinem Vater niemals verzeihen«, sagte sie dumpf. Katharina antwortete nicht, denn in diesem Moment wurde Jutta Kaltensee, ihre ehemals beste Freundin, in das Verhörzimmer geführt. Siegbert Kaltensee hob den Kopf, als seine Schwester eintrat.
    »Du hast das alles gewusst, hab ich recht?«, tönte seine Stimme durch den Lautsprecher. Marleen ballte die Hände zu Fäusten.
    »Was soll ich gewusst haben?«, erwiderte Jutta Kaltensee auf der anderen Seite der Scheibe kühl.
    »Dass sie Robert hat ermorden lassen, damit er den Mund hält. Und dann auch seine Freundin. Und du wolltest genau wie sie, dass Ritter verschwindet, weil ihr beide Angst davor hattet, was er in seinem Buch über euch schreiben würde.«
    »Ich weiß überhaupt nicht, wovon du redest, Berti. « Jutta setzte sich auf einen Stuhl und schlug gelassen die Beine übereinander. Selbstsicher und im festen Glauben an ihre Unantastbarkeit.
    »Ganz die Mutter«, murmelte Katharina leise.
    »Du hast gewusst, dass Marleen Thomas geheiratet hat«, warf Siegbert Kaltensee seiner Schwester vor. »Du wusstest auch, dass Marleen schwanger ist!«
    »Und wenn es so gewesen wäre?« Jutta Kaltensee zuckte mit den Schultern. »Ich konnte ja nicht ahnen, dass ihr so weit gehen würdet, ihn zu entführen!«
    »Ich hätte es nicht zugelassen, wenn ich das alles gewusst hätte.«
    »Ach, komm schon, Berti! «, Jutta lachte spöttisch auf. »Jeder weiß, dass du Thomas hasst wie die Pest. Er war dir schon immer ein Dorn im Auge.«
    Marleen stand wie gelähmt an der Scheibe. Es klopfte an der Tür, und Bodenstein trat ein.
    »Sie haben meinen Mann entführen lassen!«, rief Marleen. »Mein Vater und meine Tante! Sie haben ...«
    Sie erstarrte, als sie Bodensteins Gesicht sah. Noch bevor er ein Wort sagen konnte, wusste sie Bescheid. Die Beine gaben unter ihr nach, sie sackte in die Knie. Und dann begann sie zu schreien.
     
    Pia fühlte sich wie jemand, der aus langer Geiselhaft befreit worden war, als sie am späten Abend die Stufen zum Kommissariat hinaufging. Keine zwanzig Minuten nach dem Tod von Auguste Nowak waren die polnischen Kollegen aufgetaucht. Sie hatten Henning, Miriam, Elard Kaltensee und Pia auf die Polizeistation in Gizycko gefahren. Es hatte einiger Telefonate mit Frau Dr. Engel in Deutschland bedurft, um die Lage so weit zu klären, dass man Pia und Elard Kaltensee schließlich hatte gehen lassen. Henning und Miriam waren in Gizycko geblieben, um gleich am nächsten Morgen mit Unterstützung polnischer Spezialisten im Keller der Schlossruine die Knochen zu bergen. Am Flughafen hatte Behnke sie bereits erwartet und den Professor zuerst nach Frankfurt ins Krankenhaus zu Marcus Nowak gefahren. Nun war es zehn Uhr, Pia ging den verwaisten Flur entlang und klopfte an die Tür von Bodensteins Büro. Bodenstein kam hinter seinem Schreibtisch hervor und schloss sie zu ihrer Verblüffung kurz und heftig in die Arme. Dann ergriff er sie bei den Schultern und blickte sie auf eine Weise an, die sie verlegen machte.
    »Gott sei Dank«, sagte er mit rauer Stimme. »Ich bin heil froh, dass Sie wieder da sind.«
    »So schlimm kann Ihre Sehnsucht nach mir wohl kaum sein. Ich war ja keine vierundzwanzig Stunden weg«, versuchte Pia mit Ironie ihrer plötzlichen Befangenheit Herr zu werden. »Sie können mich auch ruhig wieder loslassen, Chef. Mir geht’s gut.«
    Zu ihrer Erleichterung ging Bodenstein auf ihren Tonfall ein.
    »Vierundzwanzig Stunden waren eindeutig zu lang«, grinste er und ließ sie los. »Ich habe schon befürchtet, ich müsste den ganzen Schreibkram selbst erledigen.«
    Pia grinste auch und schob sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
    »Alle Fälle geklärt, oder?«
    »Sieht so aus.« Er nickte und bedeutete ihr, sich zu setzen. »Dank dieser Fahrzeugüberwachungssoftware konnten die Kollegen Vera Kaltensee und auch Anja Moormann an der polnisch-deutschen Grenze festnehmen. Anja Moormann hat
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