Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tief durchatmen, die Familie kommt: Roman (German Edition)

Tief durchatmen, die Familie kommt: Roman (German Edition)

Titel: Tief durchatmen, die Familie kommt: Roman (German Edition)
Autoren: Andrea Sawatzki
Vom Netzwerk:
ich nicht mehr, weil mir gerade eingefallen ist, wer vor der Tür steht.«
    »Wer denn?«, fragte Susanne.
    »Der Russe«, sagte mein Vater.
    »Siehst du, jetzt geht es wieder los. Das haben wir jetzt davon«, sagte meine Mutter und erhob sich.
    »Mami, bleib sitzen, ich geh schon.« Ich stand auf, zwinkerte meinem Mann zu, lief zur Haustür und öffnete. Am Gartentor standen Hans-Dieter und Rose. Sie waren klatschnass. Offenbar regnete es noch immer. Tragisch.
    »Gundula, könntest du mal öffnen?«, rief mein Bruder ungeduldig.
    »Was soll ich öffnen?«
    »Das Törchen, verdammt noch mal.« Auch Rose wirkte ein bisschen ungeduldig.
    »Ihr müsst es erst zu euch ziehen und dann drücken.«
    »Was?« Mein Bruder rüttelte an der Klinke.
    »Nein, Hans-Dieter, erst ziehen, dann drücken!«
    »Ich kann dich nicht verstehen.«
    Der Regen war wirklich ohrenbetäubend. »Meine Güte, Hans-Dieter, ziehen und drücken!«
    Ich erinnerte mich an eine Szene aus unserer Kindheit. Mein Bruder und ich waren allein zu Hause und spielten Mutter und Sohn. Ich hasste es, dass mein Bruder nur Brei zu sich nehmen wollte. Es ärgerte mich maßlos, dass er mit seinen Essgewohnheiten immer die ganze Aufmerksamkeit auf sich zog. Das wollte ich ihm an diesem Nachmittag austreiben. Also befahl ich ihm, eine Möhre zu essen, und als er sich weigerte, schickte ich ihn in den Garten. Das machte meine Mutter auch immer so, wenn sie sich über etwas ärgerte, das wir getan hatten. An dem Tag regnete es in Strömen. Hans-Dieter war brav vor die Tür gegangen und wartete darauf, dass ich ihn wieder reinließ. Aber ich dachte nicht daran. »Erst, wenn du deine Möhre gegessen hast!«, rief ich durch die Terrassentür.
    Meinem Bruder lief das Wasser in Strömen übers Gesicht, aber ich blieb hart. Irgendwann kam meine Mutter nach Hause, holte meinen durchgefrorenen Bruder ins Haus und steckte mich in die Besenkammer. Hans-Dieter hatte sich bei der Gelegenheit eine Lungenentzündung geholt und wäre fast daran gestorben. Was ich mir hätte denken können. Er hielt einfach überhaupt nichts aus.
    Er rüttelte wieder am Törchen.
    »Jetzt warte doch mal, ich komm ja schon!« Ich schlüpfte in meine Schuhe und trat wieder in den Regen.
    Ich hatte das Törchen fast erreicht.
    Da schob Rose meinen Bruder beiseite: »Lass mal, Hadi, denk an deinen Rücken.« Sie packte den Griff, drehte, sprang gegen das Törchen und hatte im nächsten Moment den Griff in der Hand. Sie war nicht nur fett, sie war auch kräftig. Alle Achtung. Leider fiel sie nach hinten und landete mit einem Aufschrei auf ihrem Hintern.
    »Auuuuu!«
    »Rose, ist was passiert?« Hans-Dieter tauchte zu ihr hinunter.
    »Autsch, jetzt hab ich ihn mir endgültig gebrochen.«
    »Was, Rose? Was denn?«
    »Meinen Steiß.«
    »Gundula«, schrie Hans-Dieter, »komm jetzt gefälligst raus und hilf uns!«
    »Ja, ich bin ja schon da.«
    Ich versuchte das Tor zu öffnen, aber da Rose die Klinke auf der anderen Seite abgerissen hatte, ging gar nichts mehr.
    Rose richtete sich mühsam auf und klammerte sich an Hans-Dieter fest. »Vorsicht, Rosel, nicht zu doll an mir ziehen.«
    »Autsch.«
    »Gundula! Jetzt hilf doch mal endlich!«
    Ich lief durch den Regen zum Haus zurück. »Gerald? Du musst uns helfen, das Törchen klemmt!«
    »Was?«
    »Meine Güte, Gerald, jetzt komm einfach!«
    Sein Haarkranz stand auf einer Seite vom Kopf ab und sah aus wie ein Fähnchen. »Was ist denn hier los?«
    »Das Törchen klemmt.«
    »Ach so. Und Hans-Dieter?«
    »Liegt mit Rose davor.«
    »Verstehe.«
    Gerald setzte seine hundert Kilo in Bewegung, lief zum Törchen, trat einmal dagegen. Es sprang sofort auf. Dann half er Rose und Hans-Dieter, die sich inzwischen völlig verknäult hatten, auf die Beine. Gemeinsam kamen sie auf mich zu. Rose wimmerte. »Jetzt hab ich mir den Steiß endgültig gebrochen.«
    Mein Bruder sagte nur: »Ein Kännchen Tee wäre jetzt schön.«

32.
    Kapitel
    Gedankenverloren stand ich am Herd und beobachtete das siedende Wasser. Der Abend schien kein Ende zu nehmen. Ich blickte auf meine Nicole-Kidman-Uhr, immer noch neun.
    Plötzlich stand Gerald neben mir.
    »Na?«
    »Na!«
    Wir sahen uns an und waren ein bisschen schüchtern.
    »Alles gut?«
    »Jetzt schon.«
    Wieder nahmen wir uns in den Arm.
    »Schade, dass wir nicht allein sind«, sagte Gerald.
    »Ja. Das wäre jetzt schön.«
    »Morgen aufwachen und seine Ruhe haben.«
    »Musik hören …«, sagte ich.
    »Staubsaugen«, sagte er und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher