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Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt

Titel: Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt
Autoren: Joan D. Vinge
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schaute Irduz an. »Dinge, die ich begreifen kann, fürchte ich nicht. Nur was ich nicht verstehe, macht mir angst.«
    Irduz schien nicht zu wissen, worauf er hinauswollte. »Ist es jetzt vorbei?« fragte er. »Ist alles wieder in Ordnung? Die Lösung kann nicht mehr gefährlich werden?«
    »Sie ist völlig vernichtet.«
    »Und du bist dir ganz sicher?«
    »Hundertprozentig.« Der Schmied gestattete sich ein spöttisches Lächeln. »Aber für alle Fälle kannst du ja ein paar Behälter mit meinem Gegenmittel bereithalten.«
    »Wußtest du von Anfang an, daß es klappen würde?« fragte einer der Männer halb zögernd, halb fasziniert.
    »Die Chancen, daß ich Erfolg haben würde, lagen bei achtundneunzig Prozent – vorausgesetzt, daß mir keiner von euch in die Quere kam«, sagte der Schmied mit breitem Lächeln. »Ich wünsche euch noch einen guten Tag ... Und wenn ihr das Labor neu aufbauen wollt, dann überlaßt die Arbeiten um Gottes willen Kharemoughis, die von der Sache wenigstens etwas verstehen.« Er durchquerte den Raum und stellte sich vor den Hohepriester hin. »Ich gehe jetzt«, sagte er. »Durch die hintere Pforte bin ich hereingekommen, aber ich werde denselben Weg nicht zurückgehen. Nach dir.« Er bedeutete Irduz, vor ihm her zu gehen, denn er wußte, daß der Raum noch einen anderen Ausgang haben mußte.
    Irduz runzelte zwar die Stirn, wagte aber nicht zu widersprechen. Er führte den Schmied hinaus.
    Durch den Haupteingang verließ der Schmied das Kirchen-Inquisitorium, begleitet von leeren Segensformeln des Priesters und vielen erstaunten Blicken. Während er die breite Treppe hinuntereilte, verbarg er das Medaillon mit dem Solii wieder unter seinem Gewand. Er überquerte den großen Vorplatz und konnte zum erstenmal an diesem Tag wieder frei atmen. Ein Markt wurde abgehalten, und die trockene, saubere, von allerlei Gewürzen aromatisierte Luft reinigte seine Lunge. Doch selbst der strahlende Sonnenschein vermochte seine Vorahnung von einem drohenden Unheil nicht zu verscheuchen. Ihm schwante, daß vielleicht eine Katastrophe bevorstand, die noch verheerender sein könnte als die, die er soeben abgewendet hatte.
Das Sibyllennetz hat einen Fehler gemacht. Mit dein Sibyllennetz ist etwas nicht in Ordnung.
Diese Erkenntnis machte ihn so betroffen, als sei er selbst daran schuld ...
    »Soll ich dir die Zukunft vorhersagen? Es kostet nur einen
Sisk.«
Eine Hand griff nach seinem Arm, als er an einem überdachten Stand vorbeiging.
    Er blieb stehen, als die schwarze Hand die seine berührte, und blickte der Frau in die tiefblauen Augen. »Was?« fragte er.
    »Deine Zukunft, Fremder, für nur einen
Sisk.
Ich fühle, daß du vom Glück begünstigt bist ...«
    Er blickte den Weg zurück, den er gekommen war. Das Inquisitorium hatte er unversehrt und aus eigener Kraft verlassen.
Vom Glück begünstigt ...
Er wollte schon abwehren, da sah er, daß sie ein rundes Tan-Brett auf ihrem Schoß hielt. Die meisten Wahrsager benutzten Wurfstäbchen oder lasen die Zukunft einfach aus der Hand. Das komplizierte, akribisch genaue geometrische Muster auf dem glänzend polierten Brett hatte viele Bedeutungen, so wie sein Medaillon, das er unter dem Hemd trug. Das Spiel, um das es hier ging, war vermutlich älter als die Zeit. Noch nie hatte er gesehen, wie jemand aus einem Tan-Brett die Zukunft vorhersagte. »Du hast recht«, sagte er mit säuerlichem Lächeln. »Und was hält die Zukunft für mich bereit?«
    Seine Neugier war geweckt; er nahm ihr gegenüber im Schatten auf einem Sitzkissen Platz. Gespannt beugte er sich vor, als sie die glatten Spielsteine auf das Brett warf. Die Steine verstreuten sich, prallten vom Rand ab und legten sich zu einem wirren Muster zusammen.
    Während sie auf die Steine starrte, sog sie scharf die Luft ein. Sie hielt die Hand über das Brett und spreizte die Finger, wie wenn sie das schicksalhafte Muster vor seinen Blicken abschirmen wollte. Dann schaute sie ihn halb verständnislos, halb ängstlich an. »Tod ...«, murmelte sie und sah ihm tief in die Augen, als läge dort eine Erkenntnis verborgen.
    Fast hätte er gelacht.
Irgendwann mußte jeder sterben.
»Tod durch Wasser.«
    Er erstarrte und spürte, wie ihm alles Blut aus dem Gesicht wich. Schwankend stand er auf, vor Schreck war ihm schwindelig. Er kramte in seiner Tasche nach einer Münze und warf sie unbesehen auf das Brett. Es war ihm egal, wieviel er gab. Wortlos wandte er sich ab und tauchte in der Menge unter.

TIAMAT
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