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Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin

Titel: Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin
Autoren: Joan D. Vinge
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überrascht, Clavally neben einem Fremden vorzufinden ... Clavally, deren Lächeln sie all die Jahre ihres Lebens niemals hatte vergessen können.
    »Du bist – Mond! Also bist du doch gekommen!«
    »Ich erinnerte mich.« Sie nickte, erfüllt von der Freude der Auserwählten, und wischte ihre Tränen weg.
     

2
    Die Stadt Karbunkel erhebt sich wie eine gewundene, angespülte Muschel über der Küste des Meeres, weit oben in den nördlichsten Breiten von Tiamats größter Insel. Sie atmet ruhelos im Rhythmus der Gezeiten, und ihre uralte Gestalt scheint zum Ufer zu gehören, als wäre sie direkt dem Schoß der Meeresmutter entsprungen. Sie wird auch die ›Stadt über dem Treibsand‹ genannt, denn sie ragt auf Pfeilern über der Küste empor, ihr höhlenartiger Unterbau bildet einen sicheren Hafen für die Schiffe, da sie dort vor Wind und Wetter geschützt sind. Sie wird auch ›Sternenhafen‹ genannt, da sie das Zentrum des Handelns mit fremden Welten ist, obwohl der wahre Sternenhafen tiefer im Inland liegt und für das Volk von Tiamat verboten ist. Sie wird ›Karbunkel‹ genannt, weil sie entweder ein Juwel oder ein Geschwür ist, je nach Standpunkt des Betrachters.
    Auch der Vergleich mit dem abgeworfenen Heim eines Meerestieres ist berechtigt. Karbunkel ist ein Hort allen Lebens in all seinen vielfältigen Formen – oder doch wenigstens der meisten davon –, menschlich und nichtmenschlich. Ihre untersten Etagen, die zum Meer hin offen sind, bilden die Heimat von Arbeitern, Schiffern und Emigranten von den Inseln, sie steigen auf und werden zum Labyrinth, wo das Ineinandergehen von Tech und Nontech, Eingeborenen und Außenweltlern, Menschen und Außerirdischen, eine Umwelt vibrierender Kreativität und kreativen Lasters schafft. Die Adligen des Wintervolks lachen und streiten und verplempern ihr Geld und experimentieren Auge in Auge mit den Händlern der Außenwelten mit exotischen Formen von Stimulantien, welche diese von den Sternen mitgebracht haben. Dann kehren die Adligen in ihre angestammten Etagen zurück, die oberen Etagen, um der Schneekönigin, die alles sieht und alles weiß, ihre Ehrerbietung darzubringen, denn sie allein kontrolliert die Strömungen von Einfluß und Macht, die wie Wasser durch die gewundenen Etagen der Stadt fließen. Es fällt ihnen schwer zu glauben, daß ein Zustand, der, von ihrer Hand geführt, nun schon seit einhundertfünfzig Jahren andauert, nicht ewig Bestand haben sollte.
     

    »... Nichts dauert ewig!«
    Arienrhod stand stumm und einsam da und lauschte den Stimmen aus dem Lautsprecher an der Basis des verschnörkelten Spiegels. Der Spiegel war gleichzeitig ein Bildschirm, doch augenblicklich war er abgeschaltet und zeigte ihr nur ihr eigenes Gesicht. Die Adligen unterhielten sich über eine Selyx mit zerrissenen Saiten und nicht über die Zukunft, was sie ebensogut hätten tun können, denn das Zerreißen der ersteren und das Ende der letzteren hingen eng zusammen, und ihr eigener Verstand war gerade mit der Zukunft beschäftigt - oder dem Fehlen derselben.
    Sie stand an der Wand, die in diesem Zimmer gleichzeitig ein Fenster war, das emporreichte bis zu den sternenbeschienenen Dachzinnen. Sie befand sich auf dem Dach der Welt, denn sie war die Schneekönigin, und augenblicklich befand sie sich in ihrer Zuflucht am höchsten Punkt der Stadt. Sie konnte alle gewundenen Etagen überblicken, die Wellen eines Bergkamms, der von der Festlandmasse losgebrochen ist, oder einfach nur die weißgefleckte, eisengraue See. Oder, wie jetzt, einfach nur zum Himmel empor, wo die Nacht von der strahlenden Pracht von fünfzigtausend Sonnen erfüllt war, die zu dem Sternhaufen gehörten, in den es dieses vogelfreie Sternsystem vor Äonen verschlagen hatte. Die leuchtendem Schnee vergleichbaren Sterne berührten sie jedoch nicht - schon länger, als ihre Erinnerung reichte, nicht mehr. Doch ein einziger Stern, unscheinbar und unbedeutend, erfüllte sie mit einem düsteren Gefühl, das stärker als Wunder war. Der Sommerstern, der Stern, dessen Heller-werden ihre Annäherung an die Schwarze Pforte markierte, die die umherwirbelnden Zwillinge eingefangen und zu ihren ewigen Gefangenen gemacht hatte.
    Die Schwarze Pforte war ein Phänomen, das die Außenweltler ein umgekehrtes Schwarzes Loch nannten, und zu den Geheimnissen, die sie nicht mit ihrem Volk teilten, gehörte das Wissen, wie man diese Öffnungen in eine andere Realität zum Erreichen von Überlichtgeschwindigkeit verwenden
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