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Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin

Titel: Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin
Autoren: Joan D. Vinge
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ihre Handgelenke und schüttelten einander die Hände. Ehe sie sich's versah, wurde aus der Umklammerung eine Umarmung, die die Zweifel in ihrem Herzen hinwegbrannte wie den Morgennebel. »Fünkchen, ich liebe dich – mehr als alles andere unter dem Himmel.« Sie küßte ihn, schmeckte Salz auf seinen Lippen. »Die Meeresmutter soll Zeuge sein, daß dir mein Herz gehört, dir allein, jetzt und immer!«
    Sie wiederholte die Worte deutlich und stolz, danach schöpften sie gemeinsam mit der hohlen Hand Meerwasser hinaus, um ihren Schwur zu bekräftigen. »Nach dieser Reise wird keiner mehr sagen können, wir sind zu jung, uns unsere Liebe zu beschwören!« Sie hatten sich ihre Liebe zum erstenmal beschworen, da waren sie gerade alt genug gewesen, die Worte aufsagen zu können, und jeder hatte gelacht. Doch seit jenem Zeitpunkt waren sie aufrichtig zueinander gewesen, und all die Jahre hindurch hatten sie alles miteinander geteilt, auch die verlangende Unausweichlichkeit sich berührender Lippen, tastender Hände, Haut an Haut .. .
    Mond erinnerte sich an die verborgene Höhlung zwischen den Felsenklippen der Leebucht. Warme, moosüberzogene Steinwölbungen, die ihre zitternden Körper verbargen, während sie, sich liebend, im hellen Mondenschein lagen und die Gezeiten tief unten am Ufer flüsterten. Nun, wie damals, konnte sie die merkwürdige Notwendigkeit spüren, die sie verband: die Hitze zwischen ihnen, die die kalte Einsamkeit ihrer Welt abhielt. Die Zweisamkeit, die ihre Seelen im letzten Augenblick überkam – die Größe, das Zusammengehörigkeitsgefühl, das ihr nichts sonst auf der ganzen weiten Welt vermitteln konnte. Gemeinsam würden sie in ihren neuen Lebensabschnitt eintreten, und dann endlich würden sie ihrer Welt so vollkommen gehören, wie sie einander gehörten ... Funkes Lippen knabberten an ihrem Ohr. Sie beugte sich nach vorn und umarmte ihn erneut. Das Boot trieb dem Ufer entgegen.
    »Kannst du etwas sehen?«
    Funke überprüfte das Boot zum letztenmal. Sie hatten es sicher zwischen Felsen und einem Sturmschutz hinter der höchsten Gezeitenmarkierung verankert. Das am Bug eingeschnitzte Familientotem sah ihn mit seinen toten, blicklosen, aufgemalten Augen an. Zwar rollten die Wogen immer noch, doch die Flut war schon so weit zurückgegangen, daß sie vom Hochziehen des Bootes außer Atem waren. Einer der Mers war ihnen bis ans Ufer gefolgt und ließ sich nun willig den feinen Pelz streicheln. Er war noch nie einem Exemplar so nahe gewesen, daß er es hätte berühren können. Sie waren so groß wie er, aber doppelt so schwer.
    »Noch nicht ... Hier!« Monds Stimme rief ihn, unterstrichen von einem stürmischen Winken mit der Hand. Sie war dem Mer gefolgt, der am Strand entlangrobbte. »Hier, beim Strom. Ein Pfad. Das muß der sein, von dem mir Gran erzählt hat!«
    Er schritt über den Strand zu der Mündung des Bachs. Muschelschalen splitterten knirschend unter seinen Füßen. Der Wasserlauf hatte eine rote Furche in den ockergelben Boden gegraben, der von grünem Moos gesäumt wurde. Wo er sich am Ufer landeinwärts wandte, stand Mond wartend und bereit, weiterzugehen.
    »Folgen wir dem Bach?«
    Sie nickte und folgte dem sanft ansteigenden, blaugrünen Hügelkamm mit den Augen. Hoch oben konnte sie kahle, rote Felsen aufragen sehen. Diese Inseln waren nur der unmeßbaren Zeitskala des Meeres unterworfen, ihre Kuppen ragten unberührt vom Alter zum Himmel empor.
    »Sieht aus, als müßten wir klettern.« Er schob unsicher die Hände in die Taschen.
    »Ja.« Mond sah dem Mer nach, der wieder zum Ufer hinabrobbte. Ihre Hand kribbelte noch bei der Erinnerung an seinen dichten Pelz. »Heute werden wir auf dem Schnürboden tanzen. « Sie sah zu ihm zurück und wurde sich plötzlich voll bewußt, was ihre Anwesenheit hier zu bedeuten hatte. »Jetzt komm schon!« forderte sie fast ungeduldig. »Der erste Schritt ist immer der schwerste.«
    Sie taten ihn gemeinsam.
    Aber es war ein Schritt, der auch schon vor ihnen getan worden war, dachte Mond beim Klettern –
wie oft schon?
Sie fand die Antwort im Hügel eingraviert, zu ihren Füßen, wo Schritte das vulkanische Gestein abgetragen hatten, bis knietiefe Furchen entstanden waren, in denen sie nun gingen.
Und wie viele
sind emporgestiegen, nur um wieder abgewiesen zu werden?
Mond dachte ein rasches Gebet, während die Furche schmaler wurde und nun nur noch knöcheltief über einem Canyon mit grünen Farnen und undurchdringlichem Buschwerk verlief.
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