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Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin

Titel: Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin
Autoren: Joan D. Vinge
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vor so langer Zeit, daß sie selbst sich gar nicht mehr daran erinnern konnte.
    Aber nein. Dieses Kind anzusehen, mit seiner groben und kratzigen Kleidung aus Tuch und fettiger Fischhaut, wie es in einer elenden Steinhütte mit bloßen Fingern aus einem Topf aß–wie sollte sie das nur über sich bringen können! Es würde ihr im Mikrokosmos zeigen, wie diese Welt in einigen Jahren aussehen würde, wenn die Außenweltler sie wieder verließen. Aber das mußte nicht wieder geschehen, wenigstens nicht so drastisch, wenn es ihr nur gelang, ihren Plan auszuführen. Sie betrachtete das Gesicht auf dem Bild eingehender, das dem ihren so sehr ähnelte. Aber wenn sie es näher betrachtete, dann war es doch irgendwie anders, etwas – fehlte.
    Erfahrung, das fehlte. Geistige Ausbildung. Bald schon würde sie das Mädchen herbringen lassen, um ihr alles zu erklären und ihr zu zeigen, was sie erwartete. Und weil sie das alles sich selbst erklären würde, würde das Mädchen verstehen. Das Wenige, was ihnen die Außenweltler an Technologie hinterließen, durfte nicht so sang- und klanglos wieder untergehen. Dieses Mal mußten sie es bewahren und hegen, sie mußten versuchen, den Außenweltlern nicht mehr als Barbaren gegenüberzutreten, wenn sie wiederkamen .. .
    Entschlossen durchquerte sie den Raum und beendete den endlosen Austausch nichtssagender, höflicher Banalitäten, indem sie eine Perle an der Verzierung des Spiegels drehte. Sie veränderte Ton und Video, um Bilder eines anderen verborgenen Auges einzuspielen. Diese unauffälligen und unbestechlichen mechanischen Spione und das Vergnügen, mit ihnen zu spielen, hatten sie dazu bewogen, Tausende davon in allen Etagen der Stadt anbringen lassen. Allwissenheit und Zügellosigkeit waren Blüte und Dorn desselben Rebstocks, und beide erfüllten ihre unterschiedlichen Bedürfnisse, während sie sich aus derselben Quelle nährten.
    Sie betrachtete das Bild Starbucks, der ungeduldig im Rahmen des Spiegels auf- und abschritt. Unter seiner dunklen Außenweltlerhaut konnte sie das Spiel seiner Muskeln beim Gehen beobachten. Er war ein kräftiger Mann, und er schien viel zu groß für die Enge des intimen Gemachs. Er war fast nackt. Er hatte darauf gewartet, daß sie kommen würde. Sie sah ihn mit unverhohlener Bewunderung an, ihre Erinnerung war ein Kaleidoskop von Bildern der Leidenschaft, und für den Augenblick vergaß sie sogar, daß er nur gekommen war, um sie, wie alle anderen auch, zu langweilen. Sie hörte ihn etwas Profanes murmeln und kam zu dem Ergebnis, daß sie ihn lange genug hatte warten lassen.
     
    Starbuck verfügte über vieles, Geduld gehörte nicht dazu; und das Wissen, daß Arienrhod das wußte und gegen ihn verwendete, trug kaum zur Hebung seiner Laune bei. Er hätte die Zeit, während sie ihn warten ließ, mit der Auslotung der feinen Trennlinie zwischen Liebe und Haß zubringen können, aber er neigte auch nicht sonderlich zur Selbstanalyse. Er fluchte noch einmal, sogar noch etwas lauter, obwohl er wußte, daß er wahrscheinlich unter Beobachtung stand und es sie amüsieren würde. Seine Hauptaufgabe war es, sie in jeder Weise zufriedenzustellen, wie das auch alle anderen Starbucks vor ihm versucht hatten. Er verfügte über die geistigen Fähigkeiten eines Intellektuellen, ließ sich aber von den Neigungen eines Sklavenhändlers leiten, der keinerlei Moral besaß: Qualitäten, die, in Verbindung mit seiner körperlichen Stärke, einen Jugendlichen namens Herne von einem Leben ohne Zukunft auf seiner Heimatwelt Karemough befreit hatten, wobei er einer erfolgreichen Karriere des Handels mit Menschenleben und anderen lohnenswerten Gütern gefolgt war. Qualitäten, die ausgezeichnet zu seinem derzeitigen Leben als Starbuck paßten.
    »Wer ist Starbuck?« Er stellte seine rhetorische Frage in Richtung der Spiegelglasflasche, die auf dem Nachttischchen stand, lachte plötzlich und goß sich etwas von dem einheimischen Wein ein. (Großer Gott! Was man auf diesen stinkenden Hinterweltlerplaneten nicht alles soff, um sich anzumachen. Er hätte es fast wieder ausgespien. Und woran sich ein Mann alles gewöhnen konnte . . .) Sogar jetzt verbrachte er einen Großteil seiner Zeit innerhalb seiner alten Herne-Persona, trank und spielte mit zufälligen Bekanntschaften von den Außenwelten und gab sich den vielfältigen Zerstreuungen des Labyrinths hin. Und niemals kam einer auf die Idee, sich umzuwenden und ihm die Frage zu stellen: Wer ist Starbuck?
    Hätten sie
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