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Thursday Next 03 - Im Brunnen der Manuskripte

Thursday Next 03 - Im Brunnen der Manuskripte

Titel: Thursday Next 03 - Im Brunnen der Manuskripte
Autoren: Jasper Fforde
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Doppelbett war eine Lichtkuppel. Dahinter befand sich ein kleiner Lagerraum mit Holzscheiten, einem Boiler und einer Wendeltreppe. Ich wollte gerade wieder hinuntergehen, als ich Stimmen aus dem Wohnzimmer hörte.
    »Was meinst du, was das ist?«
    Die Stimme klang irgendwie leer und hatte keinerlei Farbe. Ich vermochte nicht einmal zu sagen, ob sie männlich war oder weiblich.
    Ich blieb abrupt stehen und zog instinktiv meine Pistole aus ihrem Halfter. Nach dem Manuskript lebte Mary allein. Während ich mich leise die Treppe hinunterbewegte, hörte ich eine zweite, praktisch identische Stimme: »Ich glaube, irgendein Vogel.«
    Die zweite Stimme war genauso farblos wie die erste, und wenn sie nicht geantwortet hätte, hätte ich wahrscheinlich gedacht, dass sie derselben Person gehörte.
    Als ich weit genug unten war, sah ich zwei Gestalten in der Mitte des Raumes, die Pickwick anstarrten, die hinter dem Sofa hockte und tapfer zurückstarrte, um ihr Ei zu beschützen.
    »He!« sagte ich und hob meine Pistole. »Keine Bewegung!«
    Die beiden Gestalten hoben die Köpfe und sahen mich ausdruckslos an. Ihre Gesichter waren genauso wenig unterscheidbar wie ihre Stimmen. Ihre Arme hingen ohne Körpersprache an ihnen herunter. Ob sie neugierig, ärgerlich oder besorgt waren, hätte ich nicht zu sagen gewusst.
    »Wer seid ihr?« fragte ich.
    »Wir sind niemand«, sagte der Linke.
    »Jeder ist irgendwer«, sagte ich.
    »Das ist nicht ganz richtig«, sagte der Rechte. »Wir haben eine Codenummer, aber sonst nichts weiter. Ich bin TSI- 1404912-A, und das ist TSI-1404912-C.«
    »Aha. Und was ist mit Nummer B passiert?«
    »Die wurde am Dienstag von Grammasiten gefressen.«
    Ich senkte meine Pistole. Was ich da vor mir hatte, waren Figuren-Rohlinge. Miss Havisham hatte mir davon erzählt. Die Rohlinge wurden hier im Brunnen der Manuskripte erzeugt, um die Bücher zu bevölkern, die gerade entstanden. Im Augenblick ihrer Entstehung waren sie lediglich menschliche Leinwände - ungeprägte Münzen gewissermaßen, die ihren Wert und ihre Individualität erst später erhielten. Sie hatten keine Geschichte, keine Schwächen und keine Konflikte oder Probleme. Es gab nichts, was sie irgendwie interessant machte. Um sie zu nützlichen Mitgliedern der Buch-Welt zu machen, bedurfte es verschiedener Institutionen. Sie waren allerdings von vornherein klassifiziert. Von A bis D, und von eins bis zehn. Rohlinge der Klasse D wurden normalerweise nur für Menschenmengen und stumme Passanten gebraucht. Die Klasse C erhielt schon mal kleinere Sprechrollen, während die Nebenrollen aus der Klasse B besetzt wurden. Hauptrollen gingen grundsätzlich nur an die A-Klasse. Diese Rohlinge waren handverlesen und hinsichtlich ihrer Vielschichtigkeit und ihrer Tragfähigkeit für besondere Charaktereigenschaften geprüft. Huckleberry Finn, Tess d'Urberville, Anna Karenina und Oskar Matzerath gehörten alle zur Klasse A, aber natürlich auch Franz Moor, Mr Hyde und Hannibal Lecter. Ich betrachtete die Rohlinge erneut. Waren sie Helden oder Mörder? Es war noch völlig offen, was aus ihnen werden würde, und im jetzigen Stadium ihrer Entwicklung waren sie harmlos. Ich steckte meine Knarre weg.
    »Ihr seid Rohlinge, stimmt's?«
    »Genau«, sagten sie unisono.
    »Was macht ihr denn hier?«
    »Erinnern Sie sich noch an den Minimalismus?«
    »Ja?« sagte ich und trat etwas näher heran, um ihre leeren Gesichter genauer studieren zu können. Es gab noch eine Menge, was ich über den Brunnen der Manuskripte nicht wusste. Sie waren zwar harmlos, aber doch ziemlich unheimlich. Pickwick versteckte sich immer noch hinter dem Sofa.
    »Der wurde durch die große Lieferkrise der frühen Sechziger ausgelöst, als diese voluminösen Romane erschienen«, sagte der Linke. »Jetzt heißt es, ein gewisser Vikram Seth plant einen neuen, umfangreichen Roman, und ich glaube, der Gattungs-Rat möchte nicht, dass die Figuren plötzlich wieder so knapp werden wie damals. Deshalb werden wir jetzt auf Vorrat produziert und dann in unveröffentlichte Romane geschickt, bis wir in Dienst gestellt werden.«
    »Eine Art Zwischenlager, gewissermaßen?«
    »Also ich persönlich bevorzuge das Wort
Einquartierung
«, sagte der Linke, und der leicht empörte Unterton in seiner Stimme deutete darauf hin, dass er nicht auf Dauer ohne Persönlichkeit bleiben würde.
    »Wie lange seid ihr denn schon hier?« fragte ich.
    »Seit zwei Monaten«, sagte der Rechte. »Wir warten auf einen Studienplatz am
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