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Thennberg oder Versuch einer Heimkehr

Thennberg oder Versuch einer Heimkehr

Titel: Thennberg oder Versuch einer Heimkehr
Autoren: Gyoergy Sebestyen
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kaum behaart, der Brustkorb erinnerte an einen schmalenSarg, in dem etwas lag, das noch lebte, das Geschlecht war wie der lächelnde Mund eines ganz jungen Mädchens.
    Du bist schön, sagte Richard Kranz, sagte es zu ihr, sagte es noch mehr, um es selbst glauben zu können, ja, schön, jung, fremd, sie hatte sich entkleidet ohne viel zu fragen, lag da, wartete, öffnete für eine Sekunde die Augen, schloss sie dann wieder. Gott, ist es hier kalt, sagte sie, und Richard Kranz hörte auf einmal die Stimme von Onkel Edi, „Zwischen dem Schweinestall und dem Taubenschlag, beim Betrachten der Sterne, und dann ins Stroh“, und Phoebus Silbermann fragte, wie die Brüste de facto gewesen seien, und Tante Paula ging umher, sie trug am Morgen immer einen seidenen Schal um den faltigen Hals geschlungen. Und dann waren sie wieder verschwunden, Onkel Edi, Phoebus Silbermann, Tante Paula; das Mädchen sagte irgendetwas, Richard Kranz verstand es nicht, er fror, gewiss hatte er Fieber. Der Körper, an den er sich schmiegte, war glatt und warm, Richard Kranz schloss die Augen, um sich selbst zu sehen, die Liebenden zu sehen im Bett der Tante Paula; das Bild erschien an der Innenseite seiner Stirn, ein hübscher Anblick, aber Lilo rührte sich, sagte wieder irgendetwas, das Bild war verschwunden, und nun überkam ihn plötzlich das Gefühl: Er müsste den eigenen Körper ablegen und dann auch das Mädchen weiter ausziehen, aus ihrem Körper herausschälen, um sie zu reinigen von der Fäulnis, die in ihrem Schoß lag – er hielt Lilo in den Armen, aber sie blieb von ihm durch Schichten und Schichten des nackten todgeweihten Fleisches getrennt, unter ihrer Haut verborgen, diesich auflösen würde, durch zarte, allzu zarte Rippen geschützt, unerreichbar. Ich liebe dich, murmelte er noch an ihrem Ohr, flüsterte es in ihrem Mund, ich liebe dich. Sein Glied lag schneckenweich kraftlos an ihrem Schenkel, berührte das wenige seidige Haar ihrer Scham, wurde feucht an ihrem Schoß.
    Vielleicht hatte er gar nichts gesagt, vielleicht war er mit ihr gar nicht im Bett der Tante Paula gelegen, vielleicht hatte er nur geträumt, dass Lilo vor dem mannshohen, in die Schranktür eingelassenen Spiegel stand, splitternackt in der Kälte, mit vorgewölbtem Bauch und steif emporgerichteten Brustknospen, hatte sich im Spiegel betrachtet und dann gesagt: Na, dann ziehen wir uns eben wieder an. Vielleicht waren sie später gar nicht aus dem Schloss gegangen, schweigend, durch irgendein Dorf in der Abenddämmerung, vielleicht war es gar nicht Thennberg gewesen. Die Wolken sind wie aus Schlagobers, hatte er gesagt, gibt es wieder Schlagobers zum Kaffee? Sie sagte: Es gibt ja gar keine Wolken. Er hatte Fieber.
    Was hat sie gesagt? fragte Heinrich Moravec. Er saß am Bettrand, rauchte eine Zigarette und sah ihn an, den Kranken, der Richard Kranz hieß. Heiße ich wirklich so? dachte Richard Kranz. Der Name war wie eine Etikette an einer Flasche, wichtig, unwichtig, ein allerletztes Zeichen der Lust der Eltern, eine Form ihrer Lust. Habe ich Moravec wirklich alles erzählt? dachte Richard Kranz. Also im Schloss –, sagte Heinrich Moravec. Richard Kranz nickte. Wir werden fortgehen, Lilo und ich, sagte er später, und öffnete die Augen und sah Heinrich Moravec in die Augen, und wollte sich aufrichten, aber er fiel zurückauf die Kissen und sah die eckigen Schultern und die lächelnden Jungmädchenlippen inmitten der weißblonden seidigen Behaarung und die feinen scharfen Zahnreihen zwischen den schmalen rissigen Lippen, und Heinrich Moravec saß immer noch am Bettrand, rauchte immer noch seine Zigarette, und fragte dann: Was haben Sie eigentlich vor? Richard Kranz sagte: Meine Eltern sind tot, das weiß ich, auch mein Onkel ist tot, vielleicht lebt noch meine Tante in Zürich, aber die lebt auch nicht mehr lange, also was habe ich vor, ich werde es schon schaffen, irgendwie, wir werden es schon schaffen. Sie meinen, Sie und Lilo? fragte Heinrich Moravec. Richard Kranz nickte ein zweites Mal. Er sah in harte Augen.
    Dann waren auch sie verschwunden, die Augen des Heinrich Moravec, und Jesus Christus saß im weißen Hemd und blauen Überwurf auf dem Ölberg bei Mondschein, ein bärtiger Mann, melancholisch, er sah aus wie Markus Löw. Und später wusste dann Richard Kranz nicht mehr, in wessen Haus er lag und in wessen Bett, es war still um ihn, Nachmittagslicht, und er hatte das Gefühl, das Mark in seinem Rückgrat gefriere zu Eis, und seine Augen
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