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Thennberg oder Versuch einer Heimkehr

Thennberg oder Versuch einer Heimkehr

Titel: Thennberg oder Versuch einer Heimkehr
Autoren: Gyoergy Sebestyen
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ist, die Aufgabe anzunehmen. Auch darüber äußert sich Sebestyén unmissverständlich: „Wenn wir nicht im Sinne unserer Kirche, sondern im Sinne des Lebens zwischen Seele und Körper unterscheiden, dann wird uns die Seele zum Mittel, das Chaos, in das unser Körper gestellt ist, zu überschauen, und der Körper wird uns zum verlässlichen Maß unserer Phantasmagorien. Wir werden trachten, zwischen Chaosund innerer Ordnung, zwischen Ideen und Fakten, zwischen Genusssucht und Selbstdisziplin einen Mittelpunkt zu finden, hier und jetzt, ohne erst auf das Jenseits hoffen zu müssen. Nicht das verkrampfte Mühen um das Recht, in den Himmel zu kommen, sondern bloß das ständig wache Bewusstsein und der nimmermüde Anspruch auf Harmonie zwischen Geist und Fleisch eröffnen uns den Weg in die Zeitlosigkeit – auch wenn diese bloß eine Wirkung auf Dinge und Personen ist, die weiterwirken, endlos, durch unzählige Generationen.“ (60) Dieser Gedankengang setzt den einzelnen Menschen nicht nur in die Selbstverantwortung, sondern darüber hinaus in einen die Generationen überschreitenden Zusammenhang. Das Auffinden des Mittelpunkts ist gleichzusetzen mit dem Erreichen der Harmonie: „Das Geheimnis heißt: erarbeitete Harmonie. Oder erkämpfte Disharmonie, in der Hoffnung auf einen Gleichklang der sich einstellen muss, um die Disharmonie in eine neue Art von Harmonie zu verwandeln. Erst mit der Krankheit ergibt sich die Möglichkeit der Genesung. Die Zerstörung ist letztlich das sicherste Verfahren, einen Aufbau einzuleiten; das Bauen wiederum verursacht die Zerstörung, es liefert ihr das geeignete Material.“ (60)
    Für György Sebestyén war die Gestaltung der Welt mehr als bloß ein symbolischer Auftrag, mehr als Realisierung von erträumten paradiesischen Zuständen, ein Schlaraffenland, das keine Wünsche mehr offen lässt oder das Denken in Alternativen unnötig macht. Im Gegenteil! Der Deutlichkeit wegen, sei es nochmals wiederholt: „das Bauen wiederum verursacht die Zerstörung.“
    Jedesmenschliche Dasein ohne Möglichkeit zu Alternativen ist zwangsläufig eines unter diktatorischen Bedingungen. Im Roman Thennberg steht das Naziregime gleichsam als dunkler Schatten hinter den geschilderten Figuren. Doch György Sebestyén meint nicht nur das „Dritte Reich“, sondern auch den kommunistischen Terror (bei aller Unterschiedlichkeit der Systeme gibt es durchaus Parallelen), wenn er schreibt: „Diktaturen sind lecke Schiffe, in denen zwar nichts auf dem Kopf, aber alles schief steht. Nur schiefe Linien gelten als waagrecht. Alle waagrechten Linien gelten als schief. Das gestörte Gleichgewicht wird zur Norm, die Störung gilt als Normalzustand.“ (58) Die zwangsläufig daran anschließende Frage, ab wann politische Bedingungen als diktatorisch einzustufen sind, beantwortet er gleichsam im selben Atemzug: „Jede Diktatur beginnt als eine Diktatur der Seele über den Körper, also als eine gewaltsame Lostrennung der Seele vom Körper, also, nach einem Purzelbaum, letztlich als eine Gewaltherrschaft der Körper, der Körperlichkeit über die Seele, über die Seligkeit, da in der Welt, ihrer materiellen Beschaffenheit gemäß, das Stoffliche eine größere Wirkung hat als das Geistige. Wer die Materie vom Geiste trennt, verzehnfacht ihre Wirkung.“ (59)
    Der Roman, 1969 erschienen, kann die Entwicklung der letzten vierzig Jahre nicht mitreflektieren. Bei Berücksichtigung der verschiedenen durch die Glücksmaschinerie Werbung angetriebenen Gestaltungen des menschlichen Körpers könnte man zur Ansicht gelangen, eine Diktatur, die Körper und Seele trennt und den Körper zum Resonanzgefäß der unterschiedlichen modischen Torheitenmacht, hat sich von vielen Menschen unbemerkt etabliert. Diese Form der unterhaltenden Diktatur hat den Vorteil, dass es allgemein schick ist, mitzuspielen und Dissidenten als „ewiggestrig“ verlacht werden.
    V. Coda

    Vielen Kennern der Literatur von György Sebestyén gilt der Roman Thennberg oder Versuch einer Heimkehr als sein vollendetstes Werk. Bei aller Vorsicht, die bei derartigen Superlativen angebracht ist, stellt es keine Übertreibung dar, zu behaupten, dass gemessen an den Ansprüchen, die György Sebestyén an Literatur – nicht nur an die von ihm selbst geschriebene – stellte, Thennberg zur überzeugendsten Prosa, die er geschaffen hat, gehört. Die mit klar gesetzten Worten erzeugte Stimmung, die das gesamte Werk durchzieht, schafft um die handelnden Personen
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