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Themba

Themba

Titel: Themba
Autoren: Lutz van Dijk
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unmissverständlich deutlich, warum die Geister traurig sind. Wie in einer Predigt ruft sie: »Die Herzen der Geister sind schwer, weil so viele junge Männer von uns fortgehen...«
    Die Versammlung antwortet wie ein Chor: » Siyavuma - wir stimmen zu!«
    »So viele Väter und Brüder sind fort von uns, darum sind die Geister traurig...«, setzt sie ihre Klage fort.
    »Siyavuma!«
    »So viele Kinder wachsen auf ohne Väter und die Familien sind zerrissen... darum weinen die Geister!«
    »Siyavuma!«
    Sie berichtet, wie es immer öfter geschieht, dass die Väter krank zurückkommen aus der Ferne, mit jener geheimnisvollen Krankheit ugawulayo , die so stark ist, dass sie Bäume fällen kann und alle Heilmittel machtlos sind. Manchmal kommen die Väter auch gar nicht mehr heim.
    Während ich der alten Frau und ihrem Ritual noch gebannt zuschaue, merke ich plötzlich, wie Nomtha neben mir zu weinen begonnen hat. Ihr kleiner Körper zuckt kaum spürbar, aber ich erkenne, wie ihr Tränen über die Wangen laufen. »Hast du Angst?«, flüstere ich.
    Sie schüttelt nur stumm den Kopf und deutet mit der Hand an, dass sie wieder nach Hause möchte. Es gelingt uns, unbemerkt von der Versammlung der Sangomas zum Pfad zurückzuschleichen und von dort in wenigen Minuten zu unserem Haus zu laufen. Als wir direkt davor bei dem kleinen Gemüsegarten ankommen, sehen wir beide gleichzeitig, dass die alte Holztür weit offen steht.
    »Wo kommt ihr denn her, mitten in der Nacht?«, ruft Mutter und springt von ihrem Stuhl auf, den sie sich vor den Eingang gestellt hat, um den Hauptweg vor dem Haus im Auge behalten zu können.
    » Siyaphila , Mama - wir sind okay!«, versuche ich, sie zu beruhigen. Doch da hat sie schon bemerkt, dass Nomtha geweint hat, und nimmt sie tröstend in den Arm.
    »Was ist denn, meine kleine Tochter?« Ihre Stimme klingt kaum noch böse, vielmehr erleichtert, dass wir heil zurückgekommen sind.
    Doch Nomtha, die nicht mal vor den größten Geistern Angst hat, schluchzt erneut und stößt schließlich hervor: » Uphi uTata - wo ist Vater? Warum ist er nie zu uns zurückgekommen?«
    Ich spüre, wie sich etwas in Mutters Gesicht verändert, noch bevor Nomtha es bemerkt. Es ist, als würde die Sanftheit in ihrem Ausdruck verschwinden und einem tiefen Schmerz weichen. Sie wendet sich abrupt von uns ab und schaut eine Weile wie erstarrt auf das kleine Foto neben ihrem Bett. Auch wenn es im Augenblick zu dunkel ist, um Einzelheiten zu erkennen - jedem von uns ist dieses Foto so vertraut wie kein anderes. Es zeigt meinen Vater Vuyo als jungen Mann an einem Strand. Anfang zwanzig wird er sein, kaum älter. Er trägt nur eine weite lange Hose, sonst nichts. Sein bloßer Oberkörper lässt kräftige Schultern und Arme erkennen. Er hat sich an einen Felsen gelehnt, strahlt wie ein unbesiegbarer Held in die Kamera und hat die rechte Hand zur Faust erhoben. Seit er verschwunden ist, hat Mutter seinen Namen nicht mehr ausgesprochen.
    Doch auch wenn wir jetzt in dieser besonderen Nacht die gleiche Spannung bei ihr wahrnehmen, die sie immer zeigt, wenn jemand nach ihm fragt, geht sie nun die paar Schritte zum Bett, nimmt das Foto in beide Hände, holt tief Luft und antwortet Nomtha leise: »Dein Vater... er ist noch immer in meinem Herzen. Auch wenn er uns damals verlassen hat und ich nicht einmal weiß, ob er noch lebt.«
    Es ist Nomtha anzumerken, dass sie endlich mehr wissen möchte, genau wie ich. Leise trete ich dicht neben Mutter und wage schließlich eine möglichst harmlose weitere Frage: »Mama, hast du dieses Foto gemacht?«
    Sie hebt den Blick und schaut durch die noch immer offene Holztür hinaus in die Nacht, ohne ein Wort zu sagen. Vom Fluss tönen die Trommeln jetzt nur noch leise, so als wären die Sangomas am Ufer inzwischen ein ganzes Stück weiter gen Norden gezogen. Mutter lauscht den fernen Trommelschlägen, als könnten sie ihr eine bislang unbekannte Botschaft bringen.
    Wie mit einem inneren Ruck wendet sie sich uns dann plötzlich wieder zu: »Nein, das Foto hat einer seiner Freunde aus dem Untergrund aufgenommen, etwa zwei oder drei Jahre, bevor wir uns kennen lernten. Euer Vater hat damals Ausweise gefälscht für Leute, die sich verstecken mussten. Und dieses Foto war eine große Dummheit: Jener Strand war wie die meisten für Weiße reserviert. Euer Vater hat sich nicht nur einen Dreck darum gekümmert, sondern die Faust als Geste des Widerstands gereckt und sich, als wäre all das nicht genug, auch
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