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Themba

Themba

Titel: Themba
Autoren: Lutz van Dijk
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herrlich aufregend, kein Zweifel.
    » Andiboni nto - ich sehe nichts...«, flüstere ich zurück und trete einen Schritt zur Seite, damit sie sich selbst überzeugen kann.
    Aber da hat sie schon mit beiden Händen meine Arme gepackt und ruft mit kaum noch unterdrückter Stimme: » Phaya, phaya - dorthin musst du schauen!« Sie zeigt aufgeregt in Richtung des Pfades, der zum Fluss hinunterführt. Erst jetzt sehe ich, was sie schon vor mir bemerkt hat und was nun auch mich augenblicklich fasziniert: Kleine Lichter scheinen dort auf und nieder zu schweben und sich langsam in Richtung des Flusses zu bewegen. Im Mondschatten großer Bäume können wir gerade noch das Ende einer Prozession dunkler, schweigender Gestalten erkennen, die mit rhythmischen Bewegungen zum Ufer hinabsteigen.
    »Sind das Geister?«, flüstert mir Nomtha fragend ins Ohr. Sie ist nicht ohne weiteres bereit, ihre Befreiungsidee aufzugeben.
    »Das sind Sangomas . Sie scheinen eine heilige Versammlung am Fluss abzuhalten.« Es tut mir gut, dass ich als älterer Bruder ihr endlich doch noch etwas erklären kann. Einmal hatte mich Mutter zu einem Treffen der traditionellen Heiler von Qunu mitgenommen, als das erste Steinhaus des Dorfältesten von Gonya, einer größeren Siedlung nicht weit von uns, eingeweiht wurde und mehrere Schafe und eine Kuh geschlachtet worden waren. Auch damals ging es bis spät in die Nacht, und es brannten viele Kerzen, was ich sehr schön fand. Und nun erinnere ich mich auch, dass ich genau dort einen ähnlich dumpf vibrierenden Klang schon einmal gehört hatte, der von großen, bauchigen Trommeln herrührte. Bevor ich es Nomtha mitteilen kann, hören wir es - nun aus großer Ferne - erneut: Die Heilerinnen und Heiler sind am Fluss angekommen und haben nach dem Abstieg das Schlagen ihrer Instrumente wieder aufgenommen.
    »Die Geister!«, ruft Nomtha so laut, dass ich mich besorgt nach Mutters Bett umschaue. Durch die offene Tür fällt nun mehr Mondlicht in die Hütte, und ich kann deutlich erkennen, dass Mutter sich zwar unruhig hin und her wälzt, aber offensichtlich nicht aufgewacht ist.
    Ohne meine Zustimmung abzuwarten, läuft Nomtha mehrere Schritte voraus, bevor sie sich umdreht und mir ungeduldig zuwinkt: » Vala ucango - mach die Tür zu... und komm!« Damit dreht sie sich auch schon um und folgt dem Pfad, auf dem kurz zuvor die Sangomas vorbeigezogen sind.
    Ich weiß von Mutter, dass es heilige Treffen gibt, bei denen Kinder nicht zugelassen sind. Außerdem ist es uns ganz sicher nicht erlaubt, nachts ohne zu fragen unsere Hütte zu verlassen und zum Fluss zu laufen. Aber ich darf Nomtha auch nicht einfach allein lassen und renne leise schimpfend hinter ihr her: » Yima , Nomtha - bleib stehen! Was fällt dir ein!«
    In der Dunkelheit kann ich nicht so schnell laufen, und mehrmals peitschen mir Äste ins Gesicht, die ich zu spät erkenne und die Nomtha, die mindestens einen Kopf kleiner ist als ich, nicht getroffen haben. Als ich sie endlich erwische, sind wir schon beinah am Flussufer angekommen, wo die Trommeln wieder schweigen und die Sangomas sich in einem Halbrund um eine der älteren Frauen gestellt haben. Wir können uns gerade noch hinter einem dichten Gebüsch verbergen, um nicht entdeckt zu werden. Da plötzlich Stille herrscht, wage ich nicht, mit Nomtha zu sprechen. Beide starren wir fasziniert auf das Schauspiel vor unseren Augen.
    Die brennenden Kerzen sind jetzt in der Mitte der Versammlung im Kreis aufgestellt und erleuchten schemenhaft die in lange Decken gewickelten Heilerinnen und Heiler und ihre zum Teil hell gefärbten Gesichter. Die alte Frau in der Mitte schöpft aus einem großen Eimer eine weiße Flüssigkeit in Flaschen, die reihum gereicht werden. Nachdem jeder einen Schluck genommen hat, wird der Rest der jeweiligen Flasche unter gebetartigem Gemurmel in den Fluss gegossen. Erst danach ergreift die alte Frau eine der kleineren Trommeln, auf die sie mit einem Stock einen bislang nicht gehörten Rhythmus schlägt, der jedes ihrer Worte unterstreicht.
    Erst beim zweiten oder dritten Mal kann ich die Frage verstehen, die sie singend an die Versammlung richtet: »Zikhalela ntoni izinyanya?«
    Nomtha ist inzwischen ungeduldig geworden und fragt so leise wie möglich: »Was will die Frau von den anderen?«
    Flüsternd antworte ich: »Sie fragt, warum die Geister weinen.«
    »Was?« Nomthas angeborene Geisterkenntnis hat sie zum ersten Mal im Stich gelassen.
    Doch dann macht die alte Frau
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