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Themba

Themba

Titel: Themba
Autoren: Lutz van Dijk
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das Kommando. Viele Raubtiere jagen in der Nacht, und manche Geister erhalten erst zu bestimmten Nachtstunden die Kraft, mit der sie mühelos auch jene in ihren Bann schlagen, die sich als vernünftig bezeichnen und niemals zugeben würden, an Geister zu glauben. Und die Nacht kommt schnell. Wenn die Sonne als roter Feuerball hinter den Hügeln versinkt, lässt sie noch einmal alle Wolken dicht über dem Horizont aufflammen, bevor es fast schlagartig dunkel wird, stockdunkel, bis irgendwann das ferne, kalte Licht des Mondes alle Schatten zum Tanzen bringt.
    Auf den Hügeln und in den Tälern von Qunu gibt es heute keine Löwen oder Elefanten mehr, aber es gibt Luchse und Schakale, die nachts in die Ställe einbrechen, um sich Hühner oder Gänse zu holen. Manchmal kann man auf einem kräftigen Zweig die glühenden Augen einer großen Eule erkennen, die sich langsam öffnen und schließen und im Dunkeln so viel besser sehen als bei Licht. Schwärme von Fledermäusen schwirren beinah lautlos hin und her in ihrer Jagd auf Mücken und andere Insekten. Und an den Flüssen stimmen Frösche und Kröten am Abend ein vielstimmiges Konzert an, das über Stunden anschwillt und dann, wie von einem unsichtbaren Dirigenten koordiniert, innerhalb weniger Momente abbricht.
    In einer solchen Nacht liegen Nomtha und ich hellwach unter unserer Decke und deuten einander die verschiedenen Geräusche. Ich bin höchstens zwölf und Nomtha zehn Jahre alt.
    »Das Scharren im Dach ist ein Gecko.« Nomtha flüstert, um Mutter nicht aufzuwecken. Sie ist, müde von der schweren Arbeit auf dem hügeligen Maisfeld, seit langem eingeschlafen.
    »Ich glaube, es sind zwei, die miteinander kämpfen«, vermute ich.
    »Kann auch sein«, stimmt sie zu und versucht, im schummrigen Mondlicht, das durch einen Spalt beim einzigen Fenster in den Raum fällt, etwas zu erkennen. Der fahle Lichtstrahl durchmisst die kleine Rundhütte, die wir zu dritt bewohnen, und trifft schließlich auf das einzige Foto, das wir von Vater haben und das in einem blank polierten, silbern glänzenden Metallrahmen direkt neben Mutters Kopfkissen steht.
    Plötzlich vernehmen wir ein deutliches Klopfen an der Lehmmauer gleich neben der Holztür, die schon länger nicht mehr ganz stabil in den Scharnieren hängt und bereits bei sanftem Wind ein rhythmisches Knarren erzeugt, an das wir uns längst gewöhnt haben. Das Klopfen kommt mir unheimlich vor wie alles in der Nacht, was ich mir nicht erklären kann. Es scheint aus dem Innern der getrockneten Lehmblöcke und doch wie aus großer Ferne zu kommen und klingt, als würde jemand versuchen, die Mauern mit gewaltigen Faustschlägen zum Beben zu bringen.
    Nomtha dagegen richtet sich auf und zieht mich aufgeregt an der Hand: » Yiza - komm, Themba, das ist vielleicht ein Geist, den wir befreien müssen!«
    Obwohl auch ich neugierig bin zu erfahren, woher das Klopfen stammen könnte, scheint mir die Vorstellung, einen Geist zu befreien, weniger verlockend: »Und was machen wir mit ihm, wenn wir ihn befreit haben?«
    Nomtha ist um keine Antwort verlegen: »Das kann der Geist doch selbst entscheiden...«
    Ich kenne Nomtha gut genug, um zu wissen, dass sie nicht so schnell lockerlassen wird. Da Mutter tief und ruhig schläft, erhebe ich mich so leise wie möglich, greife nach dem eisernen Feuerhaken, der sich noch warm anfühlt, und schleiche auf Zehenspitzen bis zur Tür. Nomtha ist dicht hinter mir und beide halten wir den Atem an. Da ist es wieder - das dumpfe Klopfen einer Faust oder vielleicht auch der Huf eines riesigen Tieres?
    Plötzlich ist nichts mehr zu hören. Hat der Geist uns bemerkt und wartet nun darauf, dass wir die Tür öffnen, damit er uns packen und in die Geisterwelt entführen kann? Nomtha sieht sich weiter als heldenhafte Retterin: »Du darfst ihn nicht erschrecken mit deinem Haken... Mach endlich die Tür auf, damit wir sehen können, woher das Klopfen kommt!«
    Dieses Mädchen hat wirklich vor gar nichts Angst. Vorsichtig schiebe ich den Holzriegel zurück, mit dem wir nachts die Hütte von innen verschließen. Den Haken halte ich in der erhobenen rechten Hand. Mit der anderen ziehe ich die Tür langsam auf, wobei ich sie leicht anhebe, um das Knarren zu dämpfen. Ich spüre Nomthas warmen Atem im Rücken, als wir beide um die Ecke schauen, dorthin, von wo wir noch Sekunden vorher das Klopfen vernommen haben.
    » Ubona ntoni - was siehst du?«, presst Nomtha aufgeregt hervor. Sie findet unsere nächtliche Erkundung
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