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Themba

Themba

Titel: Themba
Autoren: Lutz van Dijk
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noch fotografieren lassen...«
    Noch nie zuvor hat sie so viel auf einmal über Vater gesprochen. Das Foto in der Hand, setzt sie sich wieder auf den Stuhl, auf dem sie vorhin auf uns gewartet hat. Nomtha und ich hocken uns still neben ihr auf den Boden. Auf keinen Fall wollen wir durch ein falsches Wort unterbrechen, was Mutter endlich zu erzählen begonnen hat.

Kudala... uTata
    Damals... Vater
    »Vieles war so anders damals, anders als ihr es zum Glück jemals erlebt habt...«, sagt sie leise.
    Mir ist sofort klar, über welche Zeit sie spricht. Ich weiß, dass es damals Gesetze gab, durch die Menschen wie wir nur deshalb, weil sie keine weiße Hautfarbe hatten, immerzu benachteiligt wurden: Sie mussten dort wohnen, wo die Weißen es ihnen vorschrieben, sie durften nicht auf den gleichen Bänken in der Bahn oder im Park sitzen wie die Weißen, und wenn sie irgendwo in einer Schlange anstanden und ein Weißer kam, wurde der immer zuerst bedient. Tatomkhulu, unser Opa, der allein in seiner Hütte etwas außerhalb unseres kleinen Dorfes wohnt, hat einmal berichtet, wie er von einem Farmer geschlagen wurde, nur weil er ihm und seiner Frau auf einem Feldweg nicht schnell genug ausgewichen war. Immerhin hatte Opa kurz danach noch gehört, wie die Frau ihren Mann wegen dieser Erniedrigung beschimpfte und die beiden darüber in Streit gerieten. »Das habe ich ihr nie vergessen«, hatte Tatomkhulu erzählt.
    »Damals habe ich euren Vater kennen gelernt«, fährt Mutter fort, und ein zaghaftes Lächeln huscht über ihr Gesicht. »In jenen Tagen war er zur Hochzeit eines Onkels, der ihm früher das Schulgeld bezahlt hatte, zu Besuch in unser Nachbardorf gekommen. Eigentlich stammte er aus der damaligen Hauptstadt Umtata, aber seine Eltern hatten als Mitglieder einer verbotenen Organisation über Nacht ins Exil flüchten müssen. Er war damals noch ganz klein. So wuchs er zuerst bei einer Nachbarsfamilie auf. Aber sobald er alt genug war, begann er, in einem Bergwerk im fernen iGoli zu arbeiten und für sich selbst zu sorgen. In jenem Nachbardorf stand die einzige größere Kirche der Umgebung, in die ich jeden Sonntagmorgen in meinem besten Kleid zum Gottesdienst ging. Als ich eines Tages von der Kirche nach Hause lief, sah ich ihn auf einem Parkplatz gegenüber, wie er an einem alten Auto herumbastelte. Wir schauten einander lange an, er ölverschmiert und in abgerissenen Sachen, ich in meinem strahlend weißen Sonntagskleid. Ich fragte ihn: ›Gehst du nie in die Kirche?‹ Und er antwortete: ›Niemals!‹«
    So hatte es also begonnen zwischen meiner Mutter und meinem Vater. Nicht gerade romantisch, aber immerhin ehrlich.
    »Bei der Hochzeitsfeier des Onkels haben wir uns dann richtig verliebt«, berichtet Mutter weiter. »Dass er sich mit ein paar Kollegen aus der Minenarbeiter-Gewerkschaft einer verbotenen Gruppe angeschlossen hatte, bekam ich erst bei seinem übernächsten Besuch in Qunu mit, als er unerwartet einen warnenden Anruf bekam und Hals über Kopf aufbrechen musste, ohne mir Näheres erklären zu können. Tatomkhulu hatte bis dahin keine gute Meinung von ihm, aber als er hörte, dass mein Freund ein Freiheitskämpfer ist, sagte er nichts Schlechtes mehr über ihn...«
    Mutter holt tief Luft. Ich merke, dass der schwerste Teil ihres Berichts noch bevorsteht.
    »Etwa ein halbes Jahr nach unserer Hochzeit kamen sie. Kurz zuvor hatte ich endlich eine Besuchsgenehmigung für iGoli erhalten, um für länger bei ihm sein zu können.« Mutter wischt sich nervös über die Augen, als wolle sie jene Erinnerung am liebsten verjagen. »Im Morgengrauen, als wir noch schliefen, traten sie die Tür unseres kleinen Zimmers ein, das wir bei einem Kollegen von ihm gemietet hatten. Sechs oder sieben schwer bewaffnete Sicherheitspolizisten richteten ihre Pistolen auf uns und schrien uns an, keine falsche Bewegung zu machen. Dann begannen zwei von ihnen, alles zu durchsuchen. Wir hatten damals noch kaum Möbel, aber die paar Sachen, die sie fanden, traten sie mit ihren Stiefeln kurz und klein. Als sie keine Waffen entdeckten, die seine Schuld hätten beweisen können, zerrissen sie vor Wut sogar mein neues Kleid, das an einem Bügel über dem Fensterrahmen hing. Schließlich packten sie uns beide grob an den Armen, rissen uns, so wie wir waren, aus dem Bett und stießen uns zu Boden. Dann legten sie uns Handschellen an, die tief in die Haut schnitten...«
    »Mama...«, ruft Nomtha erschrocken und ergreift ihre Hand. Mutter
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