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Texas

Texas

Titel: Texas
Autoren: James A. Michener
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der Regierung und verließ, gefolgt von seinen Priestern, den Platz. Die Soldaten, nicht die Geistlichen, waren dazu bestimmt, das Feuer zu entfachen und die Ketzer zu verbrennen.
    Als die Flammen in der Abenddämmerung erloschen waren, ging Garcila9o zu dem eingezäunten Gelände, wo die Maultiere warteten. Verwirrende Bilder drehten sich vor seinen Augen: Bischof Zumárragas rotes Gesicht, als er rief: »Der Wille Gottes geschehe!«; die vorbeiziehenden Priester; und seine Vorstellung von Guadalajara, der »besten Stadt in Mexico«. Vor allem aber dachte er an das, was der Spanier gesagt hatte: »Ihr Mestizen könnt vieles tun. Lauf doch fort! Bring etwas zuwege!«
    In Guadalajara erhielt Garcila9os Herr den unangenehmen Befehl, die Eracht zu Heereseinheiten nach Compostela zu transportieren. Das waren weitere dreihundert Kilometer. Als sie dort ankamen, erreichte sie schon ein neuer Auftrag: »Bringt eure Eracht nach Culiacán, neunhundertfünfzig Kilometer weiter nördlich. Das Heer erwartet sie.« Und in Culiacán, der Grenzstadt des spanischen Reiches in Mexico, hieß es: »Bringt die Pracht zweihundert Kilometer weiter nach Norden zu unserem dortigen Außenposten!«
    Es war der 20. März, der Tag, den sich Garcila9o als Geburtstag ausgesucht hatte. Um die Mittagszeit kam plötzlich ein aufgeregter Soldat mit einer erstaunlichen Nachricht gelaufen: »Ich habe Gespenster gesehen!«
    Alle, die sein Rufen gehört hatten, folgten dem Mann an den Rand der Siedlung, wo er immer wieder nach Norden deutete und aufgeregt »Gespenster! Nackte Gespenster!« schrie.
    Über den Pfad, der von den Bergen herabführte, kamen vier nackte Männer gegangen, drei Weiße und ein Schwarzer. Sie mußten monatelang gehungert haben, denn sie waren entsetzlich mager. Ihre Fußsohlen waren dick wie Leder; alle außer dem Schwarzen trugen lange Bärte, und ihr Haar war völlig verfilzt. »Welchen Monat haben wir und welches Jahr?« Das waren ihre ersten Worte.
    »Den 20. März im Jahre des Herrn 1536«, erwiderte der Soldat. Die Gespenster schienen verwundert. Einer, offenbar ihr Anführer, wiederholte immer wieder: »März 1536!« Auf seinen Zügen malte sich Stolz. »Sieben Jahre waren wir verschollen. Die Sterne waren unser Kalender, und bei unseren Berechnungen haben wir uns nur um zwei Wochen geirrt.«
    »Was redest du da, du Gespenst?« knurrte Garcila9os Herr. Der Mann antwortete in ernstem Ton: »Ich bin Cabeza de Vaca aus Cádiz. Ich bin sechsundvierzig Jahre alt und sieben Jahre im Gran Despoblado, der öden Einöde, umhergezogen.« Und er deutete hinter sich.
    Man gab den vieren Kleider und führte sie unter großem Aufsehen nach Culiacan hinunter. Dort erzählte Cabeza de Vaca den ihn vernehmenden Offizieren in ausgezeichnetem Spanisch: »Vor neun Jahren, am 17. Juni 1527, verließ ich Sanlucar de Barrameda an der Mündung des Guadalquivir nahe Sevilla an Bord eines Schiffes.«
    Man wollte ihm nicht so recht glauben, und ein gebildeter Mann fragte ihn: »Auf welcher Seite des Flusses liegt Sanlucar?« Er antwortete ohne zu zögern: »Am linken Ufer. Dort wird ein ausgezeichneter Weißwein angebaut.«
    Man holte einen anderen Mann. Der meinte: »Als ich in Cuba diente, lernte ich alle Seeleute kennen, die nach Neu-Spanien kamen. Einen Cabeza de Vaca hat es da nie gegeben - im übrigen ein absurder Name, Cabeza de Vaca, Kuhkopf.«
    »Ich heiße Alvar Nunez«, entgegnete das Gespenst würdevoll, »aber ich nenne mich Cabeza de Vaca, denn diesen Ehrennamen erhielt einer meiner Vorfahren vom König, dem er das Leben gerettet hatte. Dies hier ist mein Leutnant, Andres Dorantes; dies ist Alonzo del Castillo Maldonado, ein sehr tapferer Mann, und dies.« Er berührte den schwarzen Mann in einer fast zärtlichen Geste, »dies ist Esteban, ein Doktor der Medizin. in mancher Hinsicht.«
    Die zwei Weißen verneigten sich tief. Der Schwarze tat ein paar Tanzschritte und lächelte, aber er verneigte sich nicht.
    Diese vier Fremden aus einer anderen Welt begleiteten Garcila9o auf dem Weg in die Stadt Mexico. Während der Reise, die viele Wochen dauerte, hörte der Junge so erstaunliche Dinge, daß er sich gelobte, sie niederzuschreiben, wenn er jemals schreiben lernen sollte.
    An einem kalten, feuchten Morgen, als er die Maultiere nach Süden, auf die Stadt Compostela zu, trieb, erlebte Garcila9o zum ersten Mal, wie wohlgesinnt Cabeza de Vaca ihm war. Er hatte den Erzählungen der »Gespenster« so aufmerksam gelauscht, daß er seine
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