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Teuflische Lust

Teuflische Lust

Titel: Teuflische Lust
Autoren: Kerstin Dirks
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Kopfverband, hatte Blutergüsse im Gesicht. Aber nichts davon entstellte sie für ihn. Er sah in ihren Erinnerungen, was geschehen war, und er spürte, dass sie schwere innere Verletzungen davongetragen hatte. Man hatte sie rasch ins Krankenhaus gebracht und eine Notoperation eingeleitet.
    »Alexia, kannst du mich hören?«, flüsterte er in ihr Ohr. Doch sie reagierte nicht. Seine Hand glitt tiefer, legte sich auf ihre Brust, wo er ihren Herzschlag spürte. Er war sehr langsam, sehr schwach und ungleichmäßig, doch Alexia kämpfte – auch das konnte er spüren. Sie wollte nicht sterben. Sie wollte leben. Er griff nach ihrer Hand und hielt sie fest, in der Hoffnung, sie hier halten zu können. Sie musste es schaffen. Wenn nicht, würde sie für immer aus seiner Reichweite verschwinden, und das konnte er nicht ertragen.
    »Ich werde auf dich aufpassen«, hauchte er. Nie wieder würde er von ihrer Seite weichen. Er wusste, dass sie das nicht guthieß. Er hatte gespürt, dass sie ihn nicht mehr in ihrer Nähe haben wollte. Aber das spielte keine Rolle mehr. Er würde unsichtbar wie ein dunkler Schutzengel sein und über sie wachen. Aber vorher musste sie diesen Kampf gewinnen.
    Kendraelspürte den Puls an ihrem Handgelenk. Ihr Herzschlag verlangsamte sich auf bedrohliche Weise. Auf einem Monitor konnte er die Ausschläge verfolgen. In sehr weiten Abständen erklang ein Piepton, und diese Abstände vergrößerten sich immer mehr.
    Kendrael packte ihre Hand noch fester. »Kämpfe!«, rief er ihr zu.
    Da öffnete sich die Tür, und der Arzt stürmte herein. Kendrael erhaschte einen flüchtigen Blick auf ihre Familie. Mutter und Tochter hatten sich weinend abgewendet, wurden vom Vater gehalten, der selbst den Tränen nahe war.
    Nun tauchte auch eine Krankenschwester auf. Alles ging sehr schnell. Kendrael dröhnte der Kopf. Er spürte sein eigenes Blut in den Ohren rauschen.
    Alexias Herzschlag setzte aus. Auf dem Monitor war eine flache durchgängige Linie zu sehen. Nein! Das durfte nicht sein! Am Rande hörte er den Arzt sagen, dass ihre Atmung ausgesetzt hätte, und es wurden sogleich Reanimationsmaßnahmen eingeleitet. Kendrael stand neben sich, unfähig, etwas zu tun. Er beobachtete, wie sie Herz und Lunge durch Druckmassagen wiederbeleben wollten. Doch die Linie blieb flach.
    »Schnell, wir brauchen den Defibrillator«, schrie der Arzt.
    Sie starb!
    Ein unendlicher Schmerz zerriss seine Brust, sein Innerstes, ihn selbst. Wenn sie jetzt von ihm ging, würde er sie nie wiedersehen. Sie wären für immer getrennt. Wie sollte ein Leben ohne sie aussehen? Er würde immer etwas vermissen. Nein, er durfte nicht zulassen, dass sie ihn verließ.
    Kendrael trat einen Schritt vor, griff nach ihrem Kopf und presste seine Lippen auf ihre. Das, was er anderen geraubthatte, das, was ihn selbst am Leben hielt, sollte nun ihr gehören. Die Lebensenergie seiner Opfer floss warm und wohltuend seinen Hals hinauf, durch seinen Mund in ihren. Zuerst nahm sie die Energie unbewusst auf, dann aber sogen ihre Lippen gierig nach dem Lebensfluss.
    Ihr Gesicht, das eben noch totenbleich ausgesehen hatte, wurde rosig, und ihre Wangen leuchteten.
    »Nimm noch mehr«, sagte Kendrael. Und Alexia trank. Sie nahm die Energie in sich auf wie eine Frau, die kurz vor dem Verdursten stand und der man eine Flasche erfrischenden Wassers reichte. Kendrael musste nun aufpassen, dass für ihn selbst genug Energie übrigblieb. Schließlich kehrten die Lebensgeister in ihren Körper zurück, und er löste seine Lippen von ihrem Mund. Es war schön, sie noch einmal gespürt zu haben.
    Leicht bewegten sich die Augen unter den geschwollenen Lidern, und dann nahm sie einen sachten Atemzug. Dieses leise Geräusch klang in seinen Ohren wie die schönste Melodie. Dann erklang für alle hörbar ihr Herzschlag, und der Monitor zeigte die Ausschläge an.
    »Das ist ein Wunder«, hörte er den Arzt sagen.
    Kendrael spürte, wie sich die Anspannung aus seinen Gliedern löste. Er war erleichtert wie nie zuvor. Sacht hauchte er einen Kuss auf ihren Handrücken und entschwand. Er wäre gerne geblieben, hätte sie beschützt, wie er es sich eben noch geschworen hatte, aber er hatte die alten Gesetze gebrochen und eine schwere Schuld auf sich geladen. Alexia war für den Tod bestimmt gewesen, und er hatte sie ihm geraubt.
    Eben war er noch in dem sterilen Krankenhauszimmer gestanden, einen Wimpernschlag später wurde er wie ein immaterielles Wesen in den Schatten gesogen.
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