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Teufelspfad

Teufelspfad

Titel: Teufelspfad
Autoren: J. T. Ellison
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Irgendetwas hatte sie geweckt. Ein lautes Geräusch, das ganz aus der Nähe gekommen war.
    Sie steckte ihre Hand unter das Kissen und spürte die Kälte ihrer Glock. Mit so wenig Geraschel wie möglich zog sie die Waffe an ihre Brust, umfasste sie mit der rechten Hand und sprang dann aus dem Bett auf, den Lauf in die Schwärze ihres Schlafzimmers gerichtet.
    Da erklang das Geräusch erneut, und ein Schauer lief ihr über den Rücken. Eine Eule.
    Zitternd legte sie sich wieder hin und schob die Waffe an ihren Platz. Sie verschränkte die Finger auf der Brust und zwang ihr Herz, wieder normal zu schlagen. Die Zimmerdecke erschien ihr näher als sonst; der Mond warf sein Licht in Mustern auf die helle Tapete.
    Ausgerechnet am heutigen Nachmittag hatte ihre Freundin – wenn man Ariadne denn so nennen wollte – Taylor erzählt, dass die Eule ihr Totem war, ihr Krafttier. Die Eule würde ihr Zeichen bringen. Taylor gab nichts auf diesen ganzen Hokuspokus; die weiße Hexe steckte voll von Warnungen und verdrehten Wahrheiten. Aber noch einmal den Ruf der Eule zu hören – nun zum dritten Mal – ließ eine ungute Vorahnung in ihr aufsteigen.
    Wenn sie Ariadne glaubte, würde sie das jetzt definitiv ein Zeichen nennen.
    Sie brauchte jedoch keine Eule, um ihr zu sagen, dass alles gerade den Bach hinunterging. Es war gerade erst achtundvierzig Stunden her, dass sie gezwungen gewesen war, einen Teenager zu erschießen. Die Zeit hatte noch keine Gelegenheit gehabt, ihre Wunden zu heilen. Wenn überhaupt, ging es ihr noch schlechter als an dem Tag der Schießerei.
    Sie rollte sich auf die Seite und versuchte, das Bild des Jungen aus ihrem Gedächtnis zu drängen. „Denk an etwas anderes“, hatte Ariadne ihr geraten. „Es wird besser.“
    Das war allerdings eine Lüge. Es wurde nicht besser. Im Gegenteil, alles fiel immer schneller in sich zusammen. Sie wusste, was passieren würde. Sie spürte es in ihren Knochen. Sie brauchte weder rufende Eulen noch irgendwelche Hexen, die ihr Ärger voraussagten; ihr eigener Instinkt war in höchster Alarmbereitschaft.
    Ihr größter Feind machte endlich seinen nächsten Schritt.
    Sie starrte an die Decke. Der Pretender, dieser psychopathische Hurensohn, hatte Pete Fitzgerald entführt. Ihren lieben Freund Fitz, ihren Sergeant und Vaterfigur für sie. Er hielt ihn gefangen und folterte ihn, aber er erlaubte ihm, am Leben zu bleiben. Ein Beweis der Macht, über die der Pretender verfügte. Er hielt Leben und Tod in seinen Händen. Dieses Zeichen verstand sie laut und deutlich – er könnte sie sich schnappen. Jederzeit. Überall.
    Er hatte Taylor ein Geschenk hinterlassen. Eine Verhöhnung ihrer Fähigkeiten und eine Warnung. In einem alten Airstream-Wohnwagen in den Bergen von North Carolina hatte Fitz’ Augapfel mit einer daran gehefteten Nachricht gelegen, die auf Hebräisch verfasst worden war. Ajin tachat ajin . Die wortwörtliche Übersetzung lautete: Auge um Auge.
    Fitz mochte noch atmen, aber er war auf jeden Fall für den Rest seines Lebens entstellt. Sie hatte keine Ahnung, welche anderen Wunden ihm noch zugefügt worden waren; sie konnte sich nur das Schlimmste vorstellen.
    Aber bald genug würde sie es wissen. In ein paar Stunden wäre sie auf dem Weg nach Nags Head, North Carolina, um ihn nach Hause zu bringen.
    Sie rollte sich wieder zurück, die Bettdecke verhedderte sich um ihre Beine. Sie trat gegen den weichen Stoff, der sich daraufhin wie eine folgsame Wolke auf sie herabsenkte.
    Die Dunkelheit erfüllte sie erneut. Ihr Gehirn lief immer noch auf Hochtouren. Das Gefühl, dass alles auseinanderfiel, dass sie ihre Form verlor, kehrte zurück. Die vergangenen zwei Tage gehörten zu den schlimmsten ihres Lebens. Zwei Tage, in denen sie jeden Moment noch einmal in ihrem Kopf durchgegangen war, der Rückstoß der Waffe in ihrer Hand, das Stechen in ihrem Handgelenk, als sie wieder und wieder feuerte, das betäubende Klingeln in ihren Ohren, der Ausdruck puren Schocks auf seinem Gesicht, der Hass in den Augen des Jungen. Zum tausendsten Mal fragte sie sich: Hätte ich irgendetwas anders machen könne? Natürlich nicht, er hatte die Waffe auf sie gerichtet. Suicide by cop nannte man dieses Phänomen. Der Täter zwang durch sein Verhalten einen Polizisten dazu, ihn zu erschießen, weil er nicht den Mut besaß, sich selber das Leben zu nehmen.
    Ihre Gedanken wanderten zu Fitz, zu der Panik, die er empfinden musste, zu der Vorstellung, wie es wohl gewesen sein musste, als man ihm
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