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Teufelsmond

Teufelsmond

Titel: Teufelsmond
Autoren: Ines Thorn
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kaum ihre Seele ausgehaucht, da kamen schon die Dörfler und schleppten sie zum Friedhof. Ihr Leib war noch warm, als die ersten Erdbrocken auf sie fielen. Sie hatten nicht einmal nach dem Priester geschickt. Nur rasch loswerden wollten sie die alte Grit. Und kaum war sie verscharrt, da stürmten sie schon ihre Hütte, rissen raus und zerrten fort, was nicht festgenagelt war. Der Letzte dann, es war der Schmiedsohn Leberecht, zündete die Kate an. Jetzt war dort, wo sie gestanden hatte, nur noch ein schwarzer Fleck zwischen zu Kohle verbrannten Balken.
    Karla sah zu den Wolken hinauf, die den Wald und seine Umgebung in einen dichten Umhang aus Nieselregen hüllten. Nebel wallten über die Wiesen und Weiden. Ein Pferdekopf ragte daraus hervor wie aus dichtem Rauch. Die Bäume dahinter, grau und mächtig, neigten ihre Kronen vor dem Wind. Karla fror und zog ihr Umschlagtuch fester um sich. Peter, ihr ältester Bruder, war gestern auf der Jagd gewesen. Er hatte Wolfsspuren gefunden. Ganz nahe bei den letzten Hütten vor dem Wald. Ihre Stiefmutter hatte deshalb befohlen, die Ziege und das dürre Schaf hereinzuholen, damit sie den Winter gemeinsam mit der Familie in der geduckten Kate verbrachten. Sie hatte schon einen Teil des ohnehin zu kleinen Raumes abgeteilt, sodass die sechs Kinder in der Nacht noch enger auf dem Boden zusammenrücken mussten. Der Gestank würde noch schlimmer werden, und Karla würde in der Nacht oft erwachen und das Gefühl haben zu ersticken. Ihr graute vor den dunklen Tagen, in denen draußen der Sturm heulte und die Schneeflocken waagerecht gegen die Hütten trieb. Aber ihr graute auch vor dem Frühjahr, vor dem Sommer und dem Herbst. Ihr graute vor dem Leben hier.
    Karla übersah den kleinen Marktflecken mitten im Lüttergrund mit einem hasserfüllten Blick: den engen Weiler mit seinen Bewohnern, die niemals über den Waldrand hinausgegangen waren, gerade mal ein Dutzend dumpfer Katen, in denen Dummheit und Aberglaube wohnten, die maulfaulen Männer mit den hageren rohen Gesichtern und Händen, die zu gern nach den Frauen griffen oder schlugen, und die Frauen, die vergrämt an den Feuerstellen oder Waschtrögen standen und alles ertrugen, weil sie eben Frauen waren. Und nicht zuletzt hasste Karla die ewig gleichen Worte dieser Frauen, die ihr schon beim ersten Anhören hohl vorgekommen waren. «Man kann sich sein Schicksal nicht aussuchen» und «Du sollst den Platz nicht verlassen, auf den Gott dich gestellt hat» und «Gehorche deinem Mann, denn er ist auf Erden dein Gott».
    «Gott zum Gruße, Karla. Ist dir kalt? Dann komm her, ich werde dir einheizen unter deinen Röcken. Bist jetzt wie alt? Sechzehn Lenze, nicht wahr? Wird langsam Zeit, dass dich mal einer zum Weibe macht.» Knallendes Gelächter. Als würde eine Ziege in einen Blechzuber pinkeln. Vor Karla stand Leberecht, der Sohn des Schmiedes. Seine riesigen Pranken griffen nach ihrem Umschlagtuch. Sein rotes Gesicht leuchtete, die dünnen blonden Haare klebten auf dem Kopf.
    «Pfoten weg!», zischte Karla.
    Leberecht kniff Karla in die Wange, dass sie aufstöhnte. «Nicht mehr lange, dann bist du mein Weib. Und dann kann ich unter deine Röcke, wann immer es mir passt.»
    Leberechts Rattenaugen funkelten. Er leckte sich mit der Zunge über die feuchten Lippen und kraulte sein feistes Doppelkinn. «Hm, das wird ein Vergnügen. Ich werde dich nehmen, wo es mir beliebt, und dir ein Dutzend Kinder machen. Unter dem Küchentisch, im Stall, rittlings auf den Sauerkrautfässern im Keller. Und du wirst die Blagen großziehen und mir jeden Tag ein warmes Mahl kochen. Du wirst mich verwöhnen und mir jeden Wunsch von den Augen ablesen.»
    «Niemals!» Karla ballte die Hände zu Fäusten. «Eher heirate ich unsere Ziege, als mit dir das Lager zu teilen.»
    Die Maulschelle traf sie mitten auf die rechte Wange. Leberecht beugte sich zu ihr, so nah, dass sie seinen fauligen Atem riechen konnte. «Du wirst mir gehorchen. Wenn nicht freiwillig, dann werde ich dich zwingen. Merk dir das, Karla, es ist ein Leichtes, den Willen eines Weibes zu brechen. Schließlich ist der Mann der Herr und das Weib die Magd.»
    Er spuckte vor ihr aus, warf ihr einen abschätzigen Blick zu und stapfte davon. Wie ein Sauerkrautfass auf Beinen, dachte Karla und presste eine Hand auf die glühende Wange. Wieder hat er mich geschlagen, auf die gleiche Stelle, dachte sie. Sie sah ihm nach, wie er zwischen den Marktbuden verschwand, am Glühweinstand stehen blieb und sich
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