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Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall

Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall

Titel: Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall
Autoren: Gmeiner-Verlag
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gesucht? Lag Luise vielleicht längst an derselben Stelle wie ihr Bruder? Dasselbe Blut in zwei Leibern?
    Kaltenbach starrte auf das letzte Stück Pizzarand in seiner Hand. Die Umkehrung aller Dinge. Während des Studiums hatte er einmal eine Ferienvorlesung zu Nietzsche besucht und gestaunt, mit welcher Konsequenz der später Umnachtete diesen Gedanken zu Ende gedacht hatte. Wenn dies auch Blaschkes Konsequenz war? Wenn er bereit war, bis zum Letzten alles zu riskieren? Warum war er dann nicht bei Sonnenaufgang …
    Kaltenbach ließ das Pizzastückchen zurück auf den Teller fallen. Schlagartig wich das Blut aus dem Gesicht. Sein Herzschlag stockte und ein Hitzeschwall überzog sein Inneres.
    Der Sonnenaufgang.
    Das musste es sein. Blaschke würde den Schritt in die Anderswelt nicht am Morgen gehen, wenn Licht, Helligkeit und Wärme in den Tag hineinfluteten, wenn Belenus in Gestalt der Sonne über dem Schwarzwald emporstieg. Nein. Es würde am Abend sein, bei Einbruch der Dunkelheit. Hinein in die Nacht!
    Kaltenbach sah auf die Uhr, es war kurz nach fünf. Er sprang auf. Jetzt zählte jede Minute. Dieses Mal durfte er nicht zu spät kommen. Im Vorbeigehen warf er einen Zwanzigeuroschein auf den Tresen und riss seine Jacke vom Garderobenhaken. Augenblicke später jagte er seinen Wagen die B 317 den Feldberg hinauf.
    Seine Hoffnung erhielt einen gewaltigen Dämpfer, als er gut eine Dreiviertelstunde später die Seilbahn geschlossen fand. Letzte Bergfahrt 17 Uhr! Auch die Schranke war geschlossen, wie die Male zuvor.
    Er stieß einen Fluch aus. Mit der Seilbahn hätte er fünf Minuten gebraucht. Jetzt lieferte er sich erneut einen Wettlauf mit der Sonne. Im Westen rissen die düsteren Wolken auf, die den ganzen Tag über dem Schwarzwald hingen. Hinter dem Grau kamen vereinzelt blaue Inseln zum Vorschein. Die Ränder der Wolkenlöcher färbten sich gelb und orange.
    Kaltenbach hastete in einer Art schnellem Walking-Schritt vorwärts. Schon nach wenigen Minuten ging sein Atem stoßweise und begann zu pfeifen, und die kühle Abendluft quetschte sich schmerzhaft in seine Lungen.
    Zwischendurch sah er immer wieder auf die Uhr, doch die Zeiger schienen sich schneller zu bewegen als er selbst. Er war sicher, dass Blaschke den Zeitpunkt des Sonnenuntergangs genau einhalten würde. Dieser besondere Moment würde der Mittelpunkt seines Vorhabens sein. Aber wann genau war das? Kaltenbach ärgerte sich, dass er im Kalender gestern Abend nicht nachgeschaut hatte, als er die Pensionswirtin im ›Belchenblick‹ nach dem Tagesbeginn fragte.
    Mit der Baumgrenze kam die Grenze seiner Kraft. Er musste seine Schritte deutlich reduzieren, den brennenden Lungen Erholung verschaffen. Verzweifelte Rechenspiele schossen ihm durch den Kopf. Heute morgen war die Sonne gegen halb sieben aufgegangen. Wenn heute Tag und Nacht gleich lang waren, würde genau zwölf Stunden später Sonnenuntergang sein.
    Wieder sah er auf die Uhr. Der Minutenzeiger bewegte sich auf die Zwei zu. Noch 20 Minuten.
    Vor dem Belchenhaus war jetzt kein Mensch mehr zu sehen. Die ganze bunte Schar war verschwunden. Nur in einem der Fenster brannte noch Licht, wahrscheinlich saß der Wirt über seiner erfolgreichen Tagesabrechnung. Kaltenbach hielt sich nicht weiter auf und hastete direkt weiter auf den Gipfelweg. Der Wahnsinnige musste ganz oben sein, und er musste ihn finden.
    Kurz bevor er die letzte Kurve vor dem Gipfel erreichte, überfiel ihn ein plötzlicher Schwindel. In die Anstrengung mischte sich tödlicher Zweifel. Was war, wenn Luise gerade jetzt auf dem Kandel war? Oder auf dem Gipfel des Blauen? Auf dem Schauinsland?
    Kaltenbach hielt einen kurzen Moment inne. Da war noch etwas anderes. Etwas, was er hier oben überhaupt nicht erwartete. Ein Geruch, der von oben herangeweht kam. Der Geruch von brennendem Benzin. Ein heller Schimmer waberte über dem dunklen Schwarzwaldhorizont.
    Er stolperte die letzten Schritte vorwärts. Und dann sah er es.
    Das mächtige hölzerne Gipfelkreuz stand in Flammen!

Mittwoch, 21. März, abends
     
    Er war vollkommen überwältigt von dem unglaublichen Schauspiel. Das Feuer hatte die Kreuzbalken völlig eingehüllt, in wirrem Züngeln flackerten die Flammen aus dem Holz. Es knisterte und knallte unaufhörlich. In dicken Schwaden bäumte sich der Qualm hoch hinauf in den Abendhimmel, der über dem Kreuz weithin leuchtete. Die ungeheure Hitze breitete eine undurchdringliche Wand aus. Einige Meter davor musste Kaltenbach stehen
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