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Teufelsengel

Teufelsengel

Titel: Teufelsengel
Autoren: Monika Feth
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Schultern zusammen. Gegen knackige, trockene Kälte hatte er nichts einzuwenden, aber Kälte und Nässe zusammen waren ihm ein Graus. Er warf einen Blick auf den dunklen Himmel, zog sich  die Kapuze über den Kopf, ließ die Hände in den Ärmeln seiner Jacke verschwinden und trabte los. Schon nach ein paar Schritten waren seine Socken nass und seine Zehen fingen an, sich in Eiszapfen zu verwandeln. Er hätte Stiefel anziehen sollen, wusste aber nicht, ob er überhaupt noch welche besaß.
    In der Kölner Bucht wurde es so gut wie nie richtig Winter. Die meisten Menschen, die hier lebten, hatten sich daran gewöhnt und waren deshalb auf Schneefälle nicht vorbereitet. Selbst harmloser Schneeregen konnte den Verkehr in der Stadt und auf den Autobahnen zum Erliegen bringen, weil viele nahezu panisch darauf reagierten.
    Um mit den Kindern rodeln zu gehen, musste man normalerweise mit ihnen in die Eifel fahren oder rüber ins Bergische. In Köln verrotteten Tausende von Schlitten unbenutzt in den Kellern. Wahrscheinlich würde auch dieser Winter in Matsche und Smog verkümmern.
    Seit das Rauchen in Restaurants und Cafés verboten war, standen selbst jetzt im November noch die Tische und Stühle draußen. Die Besitzer hatten Heizstrahler aufgestellt und boten warme Decken an, die bei Nässe jedoch weggeräumt wurden. Einige Hartgesottene saßen dennoch draußen, in eine der Decken eingemummelt, eine Zigarette oder einen Zigarillo zwischen den blau gefrorenen Fingern.
    Calypso warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Kurz vor elf. Er hatte noch fast den ganzen Tag vor sich. Einen gestohlenen Tag, der eigentlich nicht ihm gehörte, sondern der Bank. So, wie die meisten seiner Tage der Bank gehörten. Wie er selbst der Bank gehörte, mit Haut und Haar.
    So war das nämlich. Sie krallten sich ihre Mitarbeiter, klopften sie mürbe und stutzten sie zurecht, bis sie in ihr Schema passten. Übrig blieben Krawattenträger in knitterfreien Anzügen, mit sauber gefeilten Nägeln, gepflegtem Haar und einem  unaufdringlichen Aftershave, die statt eines Ritterschwerts silberne Kugelschreiber schwangen und Zahlenkolonnen in Kästchen schrieben.
    Zum Kotzen.
    Die Banklehre war der letzte Versuch seiner Eltern, aus Calypso einen anständigen Menschen zu machen. »Da lernst du was fürs Leben«, hatte sein Vater ihm gesagt. »Was Reelles.« Calypso wusste, was sein Vater von ihm erwartete. Dass er endlich »zu Potte« kam, das »Schluderleben« aufgab, die »Rosinen im Kopf« vergaß und sich immer die eine Wahrheit vor Augen hielt: »Lehrjahre sind keine Herrenjahre.«
    Seine Mutter mochte verstehen, dass Calypso auf der Suche war, dass er Verschiedenes ausprobieren musste, um zu erkennen, welcher Weg ihn zum Ziel führte und an welches Ziel er überhaupt gelangen wollte. Doch sie wagte es nicht, sich ihrem Mann zu widersetzen, denn wenn ihm die Argumente ausgingen, brüllte er sein Gegenüber nieder, und gegen beides war sie machtlos.
    Heute gönnte Calypso sich einen freien Tag. Als der Wecker geklingelt hatte, war er noch einmal weggedöst, und als er die Augen zum zweiten Mal aufgemacht hatte, war ihm klar geworden, dass er es nur noch mit Hängen und Würgen schaffen würde, pünktlich zu sein. Doch dazu hatte seine Energie einfach nicht ausgereicht. Er hatte beschlossen, blauzumachen und sich noch einmal umgedreht.
    Er hasste die Banklehre.
    Warum hatte er dann so ein schlechtes Gewissen?
    Seine Schritte wurden länger. Er merkte, dass er plötzlich ein bestimmtes Ziel ansteuerte, das Alibi. Um diese Zeit war Romy meistens dort. Vielleicht konnten sie ein bisschen zusammensitzen und reden. Er hatte auf einmal solche Sehnsucht nach ihr, dass er am liebsten losgerannt wäre.
    Calypso stapfte mit gesenktem Kopf voran. Der Schneeregen war mehr Schnee als Regen, und er mochte es nicht, wenn die kleinen Flocken prickelnd auf seiner Haut zerschmolzen oder sich auf seine Wimpern setzten. Außerdem fühlte er sich auf einmal wie auf dem Präsentierteller. Alle Leute schienen ihn anzustarren. Als wüssten sie, dass er im Grunde gar nicht hier sein dürfte.
    Quatsch, dachte er. Reine Einbildung.
    Die Bank lag in Junkersdorf. Es war äußerst unwahrscheinlich, dass er hier, im Belgischen Viertel, einem seiner Arbeitskollegen vor die Füße lief.
    Calypso liebte die Gegend, in der er wohnte. Köln war bei weitem nicht die schönste aller Städte, aber es gab Ecken mit Flair, und das Belgische Viertel, das wegen seiner belgischen Straßennamen so
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