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Terror von Rechts

Terror von Rechts

Titel: Terror von Rechts
Autoren: Patrick Gensing
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Untersuchungshaft mangels dringenden Tatverdachts wieder freigelassen wurden, hatten angeblich (!) versucht, sich größere Mengen Kühlpads und Chemikalien zu besorgen. Diese Meldung tauchte allerdings nur noch als Randnotiz auf.
    Aber warum sorgen Brandflaschen von linksradikalen Sektierern oder mutmaßliche Terrorverdächtige für riesiges mediales Aufsehen und immer neue Forderungen nach noch schärferen Gesetzen – und Neonazi-Brandanschläge lange Jahre nicht? Die Antwort ist alt, einfach und frustrierend: Der zivilisatorische Zustand einer Gesellschaft lässt sich am Umgang mit den Schwachen messen – und die rechtsextreme Gewalt richtet sich fast immer gegen die Schwachen, die keine oder kaum eine Lobby haben: Obdachlose, Punks, Flüchtlinge, Linksradikale, religiöse und ethnische Minderheiten. Was haben die meisten Bundestagsabgeordneten oder Redakteure und Leser schon mit solchen Leuten am Hut? Bei Angriffen auf den Staat, beispielsweise bei Polizistenmorden, sieht das anders aus, wie die politische und mediale Aufmerksamkeit für den Mord an Michèle Kiesewetter in Heilbronn gezeigt hat – und bei Verspätungen auf Bahnstrecken nach Berlin ebenfalls. Schaut man sich die Geschichte der rechtsextremen Gewalt in Deutschland genauer an, stellt man fest, dass deren kontinuierlicher und massiver Wille zur Vernichtung des Feindes in den vergangenen 100 Jahren immer wieder deutlich vorgetragen – und kontinuierlich verharmlost und ignoriert wurde. Der Feind steht in Deutschland links.
    In der Weimarer Republik muss man von Hunderten Toten durch rechtsextreme Straftäter ausgehen. Die bekanntesten Fälle sind die Morde an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Aber nicht nur Kommunisten wurden getötet, am 26. August 1921 wurde der katholische Politiker Matthias Erzberger ermordet – diese Tat wurde, wie viele andere auch, von der illegalen Organisation Consul begangen. Zuvor hatten rechtsextreme Medien, wie der
Völkische Beobachter
, offen gegen Erzberger gehetzt, da er an den Waffenstillstandsverhandlungen gegen Ende des Ersten Weltkriegs beteiligt war. Und die bürgerlich-nationalen Medien stimmten nach dem Mord noch ein: Der Ermordete sei schuld, nicht die Mörder. 13
    Der Rechtsanwalt Heinrich Hannover schrieb in seinem lesenswerten Buch
Die Republik vor Gericht
, dass von den 354 politischen Morden, die rechte Kreise zwischen 1919 und 1922 begangen hatten, 326 ungesühnt geblieben seien. 14
    In der NS-Zeit konnten die Rechtsextremen ihre Vernichtungsphantasien unbehelligt durchführen, derbraune Terror wurde zur offiziellen Politik – mit zunehmender Billigung und Unterstützung von Eliten sowie der gesamten Bevölkerung. Die Diskriminierung von Juden, Kommunisten, Homosexuellen, Roma und Sinti, Oppositionellen und allen anderen, die nicht in die völkische NS-Gemeinschaft passten, wurde immer weitergetrieben, ein dynamischer Prozess, eine ständige Radikalisierung, die in der Ermordung von Millionen von Menschen gipfelte. Das deutsche Judentum wurde praktisch vernichtet, große Teile der linken Opposition demoralisiert und zerstört. Umso bitterer war die Erfahrung von überlebenden Oppositionellen, die nach der Befreiung in der Bundesrepublik wieder auf ehemalige Nazis trafen, sei es als Richter, im Bundestag oder bei der Polizei.
    Der Rechtsanwalt Heinrich Hannover beschreibt in seinem Buch mehrere Schicksale von Kommunisten, die in der Bundesrepublik in höchst fragwürdigen Prozessen verurteilt wurden, weil sie angeblich gegen das KPD-Wiederbetätigungsverbot verstoßen hätten. Dadurch verloren die Betroffenen auch ihre Ansprüche auf die Wiedergutmachungsrenten, die ihnen als Opfer des NS-Regimes zustanden. Das Unrecht wurde vervollständigt.
    Der ideologische Schmierstoff zwischen alten und neuen Rädern, die nun ineinandergriffen, war der Antikommunismus. Beim Kampf gegen die »rote Gefahr« waren die Alliierten nicht zimperlich, was die Wahl der Verbündeten anging – und für viele alte Nazis gehörte Agitation gegen Kommunisten zur Paradedisziplin.
    Der Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge meint: »Während der fünfziger und frühen sechziger Jahre wurden in der Bundesrepublik alle geistig-politischen Kräfte im Kampf gegen den Kommunismus mobilisiert. Was lag da näher, als diesen unter dem Oberbegriff ›Totalitarismus‹ mit dem Nationalsozialismus mehr oder weniger explizit gleichzusetzen?«
    Ein eleganter Zug, der es ermöglichte, NS-Mitläufer zu rehabilitieren, da sie sich
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