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Terroir

Terroir

Titel: Terroir
Autoren: Reinhard Heymann-Loewenstein
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Weltmärkten mit leichten Kriegs- und Wirtschaftswunderdellen bis heute anhält. Beim Klang der Spitzenlagen von Mosel, Saar und Ruwer, von der Nahe und vom Rhein läuft den Weinkennern das Wasser im Mund zusammen. So gesehen ist die Lagenklassifikation nicht nur das Ergebnis exakter Berechnungen in preußischen Amtstuben, sondern auch eine Entscheidung des Markts. So wie es keine Diskussionen darüber gibt, dass Goethe und Schiller große Literaten sind, stehen auch der Ürziger Würzgarten und der Erdener Prälat nicht zur Diskussion. Fast nicht. Denn neben Winzern, die in den Ersten Lagen nicht begütert sind, laufen ganz besonders die Apologeten unseres Weingesetzes gegen diese Tendenzen Sturm. Verständlicherweise, denn durch die Terroirbewegung wird das deutsche Weingesetz vom Kopf auf die Füße, vom Zucker auf den Weinberg gestellt. Dabei hätten die Kritiker der deutschen Lagenklassifikation allen Grund, klein beizugeben. Der Vorwurf von Kungelwirtschaft und Eklektizismus kann jedenfalls nicht mehr aufrechterhalten werden, seit bekannt ist, dass die Klassifikation auch objektiven Kriterien standhält. Legt man nämlich eine vom rheinland-pfälzischen geologischen Landesamt erstellte Karte der Globalstrahlung, d. h. der unter Berücksichtigung verschiedenster Klimafaktoren an der Erdoberfläche insgesamt eintreffenden Solarstrahlung, über die historische Darstellung der Grands Crus, so ergibt sich eine verblüffend hohe Deckungsgleichheit. Diese Information aber ist nur für die Wissenschaftsgläubigen. Niemand in der Terroirbewegungbenötigt einen Beweis, dass der Rüdesheimer Berg Schlossberg ein deutscher Grand Cru ist. Da reichen zwei, drei Flaschen aus dem Keller des Weinguts Georg Breuer. Viel besser wären natürlich zehn Jahrgänge in einer vertikalen Probe. Alle zwei Stunden in einer dickbauchigen Karaffe ordentlich belüftet. Viel besser geht es nicht. Mineralisch, fein ziseliert und wieder geheimnisvoll würzig, überraschend, mit lauten und leisen Tönen, Botschaften von einer anderen Welt. Das ist Terroir, das ist große Oper!
    Die bezeichnungsrechtlichen Eskapaden des deutschen Weingesetzes haben in der Praxis im Grunde genommen nur noch eine brancheninterne Bedeutung. Besonders staatliche Behörden und Landwirtschaftskammern beschäftigen sich gerne mit der Definition und der Kontrolle von Konstrukten wie 2007 er Rüberberger Domherrenberg Riesling Spätlese lieblich. Hatte der Most auch genug Öchsle? Wurden beim Verschnitt mit Weinen von anderen Jahrgängen, Lagen und Rebsorten die bezeichnungsunschädlichen Mengenanteile eingehalten? Wurde der Wein durch Unterbrechung der alkoholischen Gärung hergestellt oder durch Zugabe von sterilisiertem Traubensaft? Wenn Letzteres, wo kommt der Saft her, aus welchen Rebsorten ist er hergestellt? Ist es eine Gutsabfüllung, eine Erzeugerabfüllung oder nur ein Abfüllerwein? Und schmeckt der Wein so, wie man meint, dass eine Spätlese schmecken soll?
    Die Bedeutung, die Winzer und staatliche Stellen dem Weingesetz zuschreiben, geht auf den Märkten gegen null. Hier hat das Bezeichnungsrecht ausgedient beziehungsweise kommuniziert völlig andere Inhalte. Beim Discounter steht die „hochwertige Spätlese“ als Synonym für billig und süß mit einem romantisch-verkitschten Etikett – Zielgruppe Tante Elfriede – neben einem doppelt so teuren Qualitätswein mit coolem Design für eine jüngere Konsumentengruppe. Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen.
    In der ambitionierteren Weinszene gibt es seit einigen Jahren eine Flut von Bezeichnungen, die als Blauschiefer, Kalkfelsen oder Porphyr in weingesetzlichen Grauzonen die Idee des Terroirs als Fantasiebezeichnungen kommunizieren. Auch wenn es hier manchmal übertrieben wird, ist das doch allemal besser als zum Beispiel ein Winninger Domgarten. Denn hier wurden – ein klarer Verstoß gegen das geltende Weingesetz – wie bei fast allen in Deutschland ausgewiesenen Lagen seitens der Landesregierungen eben gerade nicht, wie in der Durchführungsverordnung verlangt, „Parzellen mit gleichartigen geologischen und klimatologischen Eigenschaften, die geschmacklich ähnliche Weine hervorbringen“‚ zu einer Lage zusammengefasst. Im Gegenteil. Hier wurden in der Geisteshaltung des Betrügermarketings Lagen erweitert, die am Markt halbwegs erfolgreich eingeführt waren, um sich mit deren Aura zu schmücken und um „dem Handel vermarktungsfähige Partien anbieten zu können“. Auch mit dem
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