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Terroir

Terroir

Titel: Terroir
Autoren: Reinhard Heymann-Loewenstein
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wenn er das erste Mal mit wilden Hefen konfrontiert wird? Wie reagiert jemand, der sein Leben lang immer nur Scheiben von frischem Gouda auf seinemButterbrot hatte, wenn er zum ersten Mal einen reifen Pont l’Évêque im Mund hat?
    Jean-Michel Deiss, der mit seiner Frau Marie-Hélène das traditionsreiche Weingut Marcel Deiss im elsässischen Bergheim bewirtschaftet, kann ein Lied davon singen. Wie, das soll typisch Elsässer Wein sein? Ist ja gar nicht trocken! Hat ja gar keinen Petrolgeschmack.Und die Rebsorte? Das Wichtigste! Die ganze Welt sortiert die Weine nach Rebsorten. Wo auf dem Etikett steht bitteschön Riesling, wo Silvaner? Für die Familie Deiss geht es um den Weinberg. Engelgarten schmeckt nach Engelgarten und Rotenberg nach Rotenberg. „Die Monocepage begann bei uns mit Bismarck,“ sagt Jean-Michel, „das ist nicht unsere Tradition. Die Conplantation, der jeweilige Rebsortenmix, macht’s, er kitzelt die wirkliche Identität des Weinbergs ins Glas.“ Und warum die Rebsorten auf das Etikett schreiben, wenn doch der Weinberg das Wichtigste ist! Mambourg, Schoenenbourg, Altenberg ...
    Zurück zum deutschen Weingesetz. Es ist also demokratisch. Das heißt, wenn der Gesetzgeber akzeptieren würde, dass es so etwas wie Terroir gäbe, dann hätte es, lang lebe der Konjunktiv, jeder einzelne Weinberg in gleichem Maße. Dass dem nicht so ist, weiß jeder Weinliebhaber. Der liebe Gott war seinerzeit beim Verteilen alles andere als demokratisch. Im Gegenteil, er hatte da so seine Lieblinge. Aber deshalb ein Bewertungsschema für Weinberge ableiten, da will sich hierzulande kein Politiker in die Nesseln setzen. Zwar wurde auch in Deutschland der Wein von den Anfängen bis Ende des 19 . Jahrhunderts weitgehend über sein Terroir, über seine Herkunft definiert, aber nach vier öchslegeprägten Winzergenerationen ist diese Tradition anscheinend ausgemendelt. Frankreich hat es da einfacher. Hier wurde im Lauf der Geschichte der Appellationsgedanke nie ernsthaft infrage gestellt. In Burgund zum Beispiel steht im Weingesetz, ob derWeinberg ein Grand Cru, ein Premier Cru oder nur eine Dorflage ist. Nach der schon 1855 vollzogenen Klassifikation im Bordeaux gaben sich 1935 mutige Politiker einen Ruck und haben auch in Burgund die Appellationen zusammen mit strengen Produktionskriterien gesetzlich fixiert. Natürlich steht bei solchen nicht wissenschaftlich abgesicherten Maßnahmen immer die Frage im Raum, ob das im Einzelfall auch immer richtig war und welche politischen und ökonomischen Intrigen bei der Entscheidungsfindung beteiligt waren. Die Weinszene ist sich aber – fast ist man geneigt zu sagen kurioserweise – ziemlich einig, dass die Weinberge in Burgund richtig und sinnvoll klassifiziert wurden. Die Klassifizierung kam ja auch nicht aus dem luftleeren Raum. Nach der Vorarbeit durch die Zisterzienser waren es besonders die Beamten Napoleons, die zur Erneuerung des französischen Katasters alle Weinberge neu bewerteten und die Grundlage für die neueren Klassifikationen schufen. Auch die linksrheinischen Weinregionen Deutschlands profitierten von der Instruction du 24 novembre 1802 des französischen Finanzministeriums. Erstmalig in der Geschichte basierte eine Bonitierung von Weinbergen auf der Tatsache, „dass die Fläche mit der größten Erntemenge nicht automatisch die beste ist“ und dass in hochwertigen Weinbergen, „sei es durch die Bodenverhältnisse oder durch die Natur der Pflanzen selbst, oft nur ausgesprochen wenig geerntet“ wird. „C’est que le terrain qui produit la meilleure denrée, n’est pas toujours celui qui doit tenir le premier rang de la classification, parce que souvent il en produit fort peu, soit par la nature du terrain, soit par celle du plant.“
    Glücklicherweise übernahmen die Preußen nach den Befreiungskriegen diesen Denkansatz und brachten in der Rheinprovinz die Klassifikation in den 1840 er-Jahren zum Abschluss. Mit Akribie und großem Sachverstand wurden alle Weinberge verschiedenen Gruppen zugeordnet. Oft gegen den Willen der Winzer, denn die Klassifikation war auch die Basis zur Festsetzung der Grundsteuern. Da wollte niemand so gern in der Grand-Cru-Liga spielen. Nur wenigen Hundert Hektar wurde diese für viele Winzer anfänglich zweifelhafte, dann sehr schnell aber riesengroße Ehre zuteil. Denn spätestens mit dem Boom der deutschen Rieslinge in der Belle Époque entwickelten die deutschen Grands Crus Kultcharakter und eine Faszination, die auf den
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