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Terra Anchronos (German Edition)

Terra Anchronos (German Edition)

Titel: Terra Anchronos (German Edition)
Autoren: Andree Leu
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konnte er jedoch nicht. Die äußerste Ecke des Grundstücks war zu sehen, der grüne Zaun, den er erst in der letzten Woche mit seiner Mutter gestrichen hatte, eine Ecke des Wohnhauses aus rotem Backstein und ein winziger Teil des mit Reet gedeckten Daches. Blätter waren von den Bäumen gerissen und wirbelten in eine Ecke des Hofes, wo sich schon einiger Unrat, vom Wind herangetrieben, gesammelt hatte. Es war Arne nicht recht, dass seine Mutter ihn ausgerechnet jetzt rief, denn es war ganz sicher die Stimme seiner Mutter gewesen, die es gewohnt war, sich auch im Heulen des Windes verständlich zu machen. Der Junge glaubte, er könne es ruhig wagen, den Rahmen des Fensters in die Waagerechte zu drehen. Das Quietschen der Scharniere würde bei dem Wind nicht zu hören sein. Arne ging mit äußerster Behutsamkeit vor und lugte, immer bereit, den Kopf schnell zurückzuziehen, vorsichtig nach unten. Er verdrehte die Augen, als er bemerkte, dass seine Mutter im Hof stand und offensichtlich ganz genau wusste, wo sie ihren Sohn zu suchen hatte.
    Die Fäuste in die Hüfte gestemmt, umflattert von den  losen Zipfeln ihres Kopftuchs und an den Füßen die Gummischuhe, die sie zum Ausmisten des Schweinestalls immer anzog, stand sie da und blickte ihm geradewegs ins Gesicht. Es sah aus, als schaue sie erbost, weil Arne schon wieder die Zeit auf dem Boden der Scheune verbummelt habe. Doch das war ganz und gar nicht der Fall. Wenn sie auch die Fäuste in die Hüften stemmte und es den Anschein haben mochte, sie sei ärgerlich oder gar zornig, so tat sie es doch nur, um dem Wind zu verbieten, ihre Schürze anzugreifen und vor das Gesicht zu wehen. Wenn ihr Blick scharf und stechend in Richtung des Jungen gerichtet war, könnte der Eindruck entstehen, sie wolle ihren Sohn Arne direkt am Strahl ihres durchdringenden Blickes zu sich herabziehen. Tatsächlich kniff sie nur ein wenig die Augen zusammen, da der Wind feinen Sand und erste Regentropfen mitbrachte. Ganz entschieden nicht zu dem äußeren Eindruck wollte jedoch ihre glockenhelle und klare Stimme passen. Es lag eine liebevolle Fürsorge in den Worten, die Arne von seiner Mutter hörte.
    „Komm doch ins Haus, Arne. Das lange Warten ist in der warmen Stube viel angenehmer.“
    Mit einem tiefen Seufzer ließ der Junge sich zurücksinken und verschwand fast gänzlich in dem Polster des riesigen Sessels, der dicht hinter ihm stand. Das Wort Sessel hörte Arne überhaupt nicht gern, denn keinesfalls handelte es sich um ein gewöhnliches Mö belstück. Arne legte äußersten Wert auf die korrekte Bezeichnung dieses offensichtlich sehr alten Sitzmö bels. Es war ein Thron. Genau betrachtet konnte man es tatsächlich dafür halten. Wenn auch der Bezug an Armlehnen und Sitzfläche schon arg abgewetzt, die goldene Farbe an der Rückenlehne schon etwas abgeblättert war. Oder sollte es tatsächlich echtes Gold gewesen sein? Eines Throns wäre es würdig gewesen, denn es war tatsächlich ein solcher. Einst gehörte er dem König von Tonga. Nicht des heutigen, sondern dessen Großvater. Nachdem nämlich Arnes Urgroß vater, der noch auf echten Segelschiffen um die Welt gefahren war, als junger Mann dem Sohn des Königs das Leben gerettet hatte, wurde ihm zum Dank der Thron geschenkt.
    Und noch viel mehr an wertvollen Erinnerungsstücken war auf dem Boden über der Scheune zu entdecken. Deshalb saß Arne auch so gerne hier. Seeleute bringen gerne Erinnerungen aus fernen Ländern mit. Denn auch wenn sie sich rau und hart geben, im Herzen sind sie weich. Auch die Seeleute, und seien ihre Gesichter noch so von der Sonne gegerbt, ihre Sprache grob und ungehobelt, schmelzen bei den Erinnerungen an ihre Reisen wie ein Stück Butter in der Sonne. Und damit sie immer wieder einen Grund finden, sich in ihrer Sehnsucht zu verlieren, bringen sie allerlei mit, verstecken es auf dem Dachboden und setzen sich an manchen Abenden beim Schein einer Kerze inmitten ihrer Schätze und träumen. Der Urgroßvater, dessen Sohn und auch dessen Sohn, der Arnes Vater war, hatten es so gehalten. Alle waren zur See gefahren, hatten große und kleine Schätze mitgebracht, in deren Mitte nun auch Arne saß und darauf wartete, endlich alt genug zu sein, um auch ein Seemann zu werden. Ein Kapitän auf großer Fahrt, wie sein Vater einer war, dessen Rückkehr er an diesem Tag sehnlichst und voller Ungeduld erwartete.
    Nach wenigen Augenblicken erhob sich Arne wieder. Das Rufen seiner Mutter wollte kein Ende nehmen. Er
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