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Terra Anchronos (German Edition)

Terra Anchronos (German Edition)

Titel: Terra Anchronos (German Edition)
Autoren: Andree Leu
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öffnete das Fenster und winkte ihr einen Gruß hinunter, den sie in mütterlichem Verständnis wortlos entgegennahm, sich umdrehte und offenbar beschlossen hatte, den Jungen gewähren zu lassen.
    Mit leisem Kopfschütteln ging sie über den Hof zurück zum Haus. Sie wusste, dass Arne kommen würde, wenn es an der Zeit war.
    Der Junge indes machte es sich wieder auf dem Thron gemütlich und begann einen neuen Versuch mit der Lektüre. Es war wie verhext. An der spannendsten Stelle kam er nicht recht voran. Der Blick hob sich immer wieder von den Zeilen, schweifte zum Fenster und beobachtete aufmerksam den Horizont, an dem sich mehr und mehr die Linie zwischen Himmel und Wasser zu grauschwarzer Unkenntlichkeit verwischte.
    Das schwache Licht der Öllampe auf dem kleinen Tisch neben sich, die unscharfen Umrisse der Landschaft, die inzwischen in heftigen Regenschleiern verborgen lag, das Geräusch des Windes in den Balken des Daches, hatten Arne allmählich müde gemacht. Die Jagd auf den weißen Wal Moby Dick musste zu anderer Stunde fortgesetzt werden. Das Buch rutschte dem Jungen schließlich aus der Hand und fiel mit dumpfen Aufprall zu Boden. Die Mü digkeit ersparte dem Jungen ein langes vergebliches Warten auf das Signal des Vaters, mit dem er stets seine Rückkehr ankündete. Im Laufe des Tages wollte Arnes Vater mit seinem Schiff zurückkehren. Fünf Monate war er auf See gewesen, und wie immer – so hielt er es, seit Arne denken konnte – schoss er eine rote Leuchtkugel in den Himmel. Vielleicht war sie im Dunkel der Sturmwolken nicht zu sehen gewesen. Vergessen hatte der Vater das Signal sicher nicht.
    Wenn also nichts zu sehen gewesen war, so musste Schreckliches geschehen sein.
    Arne warf sich ruhelos im Traum hin und her, denn die Angst um den Vater lag schwer auf der jungen Seele.

Das fremde Mädchen
    Längst schon hatte sich die Finsternis der Nacht über das Land gelegt, als Arne vom Knarren der hölzernen Stiege erwachte. Er sprang sofort hellwach und ein wenig verärgert darüber, dass er eingeschlafen sein musste, von dem Thron auf und schaute aus dem Giebelfenster. Wie die Sintflut prasselte der Regen, von heftigen Böen getrieben, gegen die Scheibe. Nichts war zu sehen. Kein Signal, kein Licht.
    Entfernt war die schäumende Nordsee zu erahnen.
    Durch den Lärm des Windes konnte man ihr Brüllen vernehmen. Langsam drehte Arne sich um, als eine weiche Hand sich auf seine Schulter legte. Er verbarg sein Gesicht, indem er seine Mutter eng umschlang.
    Sie sollte seine Tränen der Enttäuschung und Angst, die er nun nicht mehr zurückhalten konnte, nicht sehen. Die Mutter legte eine warme Decke um Arnes Schultern und zog den Jungen tröstend dicht zu sich heran. Wie wohl tat es, die Hand der Mutter auf dem Haar zu spüren, ihre Wärme am Leib zu fühlen und mit einem Ohr deutlich den vertrauten Herzschlag zu hören. Sie zog ihn zu dem Thron, setzte sich und Arne ließ sich gerne in ihren Schoß sinken. Geborgen zog er die Füße hoch und lauschte gemeinsam mit seiner Mutter den Geräuschen des Sturms. Versonnen nahm die Mutter von dem kleinen Tisch die alte  Öllampe aus Kupfer und rieb mit der einen Handflä che daran.
    „Wie es wohl wäre, wenn ein Geist aus der Lampe erschiene und uns einen Wunsch erfüllen würde?
    Was würdest du dir wünschen?“, flüsterte sie Arne leise ins Ohr.
    „Mutter, du hast bestimmt schon tausend Mal an dieser Lampe gerieben. Noch nie ist ein Geist erschienen.“
    Arnes Mutter konnte ein kleines Lächeln nicht unterdrücken. Der Junge ist groß geworden, dachte sie.
    „Vielleicht waren es auch schon tausend und ein Mal.“ Mit einem leisen Seufzer stellte sie die Lampe zurück. „Manchmal finde ich es schade, dass wir nur noch an Dinge glauben, die auch zu sehen sind. Als du noch klein warst, habe ich dich oft mit Piraten kämpfen sehen. Dein Holzschwert sauste nur so durch die Luft. Dein Schiff war ein Kreis im Staub und die Möwen deine Matrosen. Dein Vater musste Seile von Bord mitbringen, damit du ...“
    Arne richtete sich auf. „Wann kommt Papa endlich?“ Mit großen Augen schaute der Junge seiner Mutter ins Gesicht und sah dort dieselbe Sorge, die auch ihn bedrückte.
    „Wir werden warten müssen.“ Die Mutter fand kein Wort der Beruhigung. Sie machte nicht den Versuch, ihrem Jungen mit einer kleinen Lüge die Last von der Seele zu nehmen. Stattdessen ging sie langsam und wortlos die Stiege der Scheune hinunter,  um zwei Ballen Heu zu holen. Arne zog
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