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Tempus (German Edition)

Tempus (German Edition)

Titel: Tempus (German Edition)
Autoren: Maud Schwarz
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von rechts und links Bilder in meinen Kopf. Sobald ich sie bemerkte, verscheuchte ich sie. Ich war so darauf konzentriert, meinen Kopf zu entleeren, dass mir erst spät auffiel, wie sich ein kräftiger Arm unter meinen Nacken schob. Ganz behutsam, um mich nicht zu stören.
    Seltsamerweise erschreckte mich der Arm nicht, obwohl er es hätte tun müssen. Er fühlte sich eigenartig vertraut und gut an. Kein Zweifel: Ich war nicht allein, jemand lag neben mir. Meine Augen waren noch immer geschlossen, als ich ein Flüstern hörte.
    »Ich liebe dich!«
    »Ich dich auch«, formten meine Lippen eigenmächtig.
    Eigenartig! Nichts an der Situation erstaunte mich. Dabei war mir klar, dass ich nicht träumte, sondern hellwach war und dass ich niemanden sehen würde, wenn ich die Augen öffnete. Und noch etwas wusste ich: Es war weder Harrys Arm, den ich spürte, noch seine Stimme, die ich gehört hatte. Vorsichtig machte ich die Augen auf. Der Arm verschwand. Das schöne Gefühl blieb.

Der Gallische Krieg

    V orsichtig legte ich die Hand auf die Türklinke. Bevor ich sie runterdrücken konnte, hörte ich Hedda hinter mir sagen: »Elina, so geht das nicht! Du hast gestern Abend bereits nichts gegessen. Ohne Frühstück lass ich dich nicht zur Schule.« Sie zog mich in die Küche, die gleich rechts neben der Diele lag. »Komm, wenigstens eine Schale Müsli.«
    Erik rutschte auf der Küchenbank ein Stück nach rechts, um mir Platz zu machen. Widerwillig setzte ich mich zu ihm an den großen Tisch aus dunklem Tropenholz, der so gar nicht zu dem Rest der Küche passen wollte, die im skandinavischen Stil eingerichtet war: mit einer halbhohen Wandverkleidung aus taubenblau gestrichenen Dielenbrettern, hellen Stühlen und Schränken sowie geblümten Fenstervorhängen.
    »Hast du inzwischen dein Referatsthema bekommen?«, wollte Erik wissen, während er mir Milch einschenkte.
    »Ja, gestern.«
    »Und welches?«, fragte Hedda. Sie klemmte sich nervös eine dunkelblonde Haarsträhne hinters Ohr, die es gewagt hatte aus der ordentlichen Pagenfrisur auszuscheren.
    »Julius Cäsar«, erwiderte ich mechanisch, während ich überlegte, ob ich wohl später so aussehen würde wie meine Mutter: mit kurzen und nicht mehr so hellblonden Haaren.
    »Oha, das ist aber ein komplexes Thema«, meinte Erik.
    »Geht so.«
    »Was heißt ›geht so‹?«, mischte sich Hedda erneut ein. »Hast du schon einen Ansatz? Ich meine, einen Aspekt, den du besonders herausarbeiten willst?«
    »Nun lass sie doch! Sie hat gerade erst das Thema ...«, wollte mir Erik zu Hilfe eilen.
    Ich unterbrach ihn und hörte mich zu meinem eigenen Erstaunen sagen: »Ja, ich hab einen Ansatz: Verrat! Damit kenne ich mich nämlich gut aus.« Keine Ahnung, wie ich so schnell darauf gekommen war. Eigentlich hatte ich mich bislang nur mit der Frage beschäftigt, wie und wo ich Informationen über Cäsar finden würde. Ich wusste zwar ein bisschen was über ihn aus dem Geschichtsunterricht und dem Fernsehen, aber das war nicht der Rede wert.
    »Warum musst du immer so dramatisch sein, Elina?« Hedda schüttelte missbilligend den Kopf.
    »Ich finde den Ansatz gut«, verkündete Erik. »Cäsar hat die Republik verraten, indem er sich zum Diktator aufschwang. Er selbst wiederum wurde bekanntlich von Brutus verraten und umgebracht. Das sind zentrale Aspekte.«
    »Ja, mag sein. Aber deswegen muss Elina nicht immer so dramatisch sein«, beharrte Hedda.
    Langsam reichte es mir. Erst zwangen sie mich, mit ihnen zu frühstücken, dann fragten sie mir ein Loch in den Bauch und nun musste ich mir auch noch Vorwürfe anhören.
    »Ich hasse es, wenn du immer sagst. Und ich hasse es auch, wenn du nie oder wieder sagst.« Wütend sah ich Hedda an. »Ich bin nicht IMMER irgendetwas. Ich bin auch nicht irgendetwas NIE oder WIEDER.« Ich schnappte mir meine Schulsachen und lief zur Haustür.
    »Siehst du, jetzt bist du wieder dramatisch«, hörte ich Hedda im Rausgehen sagen. Ich konnte mir genau vorstellen, wie sie dabei ihre blau-grauen Augen verdrehte. Noch auf dem Weg zur Bushaltestelle ärgerte ich mich darüber.
    Der Bus hatte Verspätung und war voller Menschen. Ich war froh, als ich noch einen Platz ergatterte. Vierzig Minuten Fahrzeit lagen vor mir. Müde lehnte ich den Kopf an die kühle Fensterscheibe. Regen prasselte von draußen dagegen. Hörte das denn nie auf? Immer nur Regen und nichts als Regen. Ich hasste Schweden. Und ich hasste die Schule. Heute war bestimmt wieder ein besonders
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