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Tausche Brautschuh gegen Flossen

Tausche Brautschuh gegen Flossen

Titel: Tausche Brautschuh gegen Flossen
Autoren: Juliane Kobjolke
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dort
oben die Lichter eines Flugzeuges im Landeanflug auf Reina Sofia.
    Ich will ihn nicht ansehen. Ich
kann ihn nicht ansehen und hefte meinen Blick auf das Flugzeug. Christoph wickelt
sich aus seiner Decke und setzt sich vor mich. Als er meine Hände in seine nimmt,
atme ich tief ein.
    »Du musst nicht gehen!«, höre ich
ihn sagen.
    »Wie simpel das klingt«, antworte
ich und weine ein bisschen mehr.
    »Ich wünschte, du würdest nicht
weinen.«
    Endlich kann ich mich dazu durchringen,
den Himmel loszulassen und ihn anzublicken. Ich habe ihn 100-mal lächeln sehen in
den zehn Tagen, die wir miteinander verbracht haben. Dies ist sein erstes trauriges
Lächeln.
    »Mir wäre es lieber, wenn ich jetzt
lachen könnte.«
    »Dann lach doch! Denk an die gute
Zeit, die wir hatten.«
    »Ich denk ja daran, und deshalb
weine ich.«
    Christoph öffnet die Lippen zum
Sprechen, doch er schließt sie wieder, und ich weiß, dass ich nie hören werde, was
er sagen wollte. Seine Hände lassen meine gehen, streichen meine Arme hinauf, umschließen
mein Gesicht. Mit den Daumen wischt er die Tränen von meinen Wangen.
    In seinen Augen liegt ein dunkler
Glanz, eine Frage und ein Geständnis, das mein Herz umkrempelt.
    Als Christoph
mich küsst, explodiert etwas in meinem Inneren. Winzige, bunte Lichter tanzen vor
meinen geschlossenen Augen. Ich rutsche zu ihm hin, um ihm so nahe zu sein, wie
es eben geht, um ihn zu spüren. Meine Hände tänzeln in seinen Nacken, fahren in
sein weiches, blondes Haar und fliegen über den Stoff seines Hemdes, ertasten die
Muskulatur darunter.
    Zu Beginn ist sein Kuss zögerlich
und sanft, seine Lippen spielen mit meinen, seine Zunge kostet mich. Als ich meine
Beine über seine schiebe, ihn umschlinge, ihn so fest halte, wie ich nur kann, wird
sein Kuss dringender, flehender. Seine Hände wandern über meine Arme abwärts und
legen sich um meine Hüfte, ziehen mich an ihn.
    Mit einem Keuchen lösen sich unsere
Münden voneinander und wir starren uns an. Er streicht mir eine verirrte Strähne
aus dem Gesicht, und ich umschließe seines mit beiden Händen, um die Linie seiner
Lippen nachzuziehen. So lange, bis er wieder lächelt.
    Den Rest der Nacht suchen wir die
Sternbilder, entdecken die Milchstraße, beobachten den Flug eines Satelliten und
warten darauf, dass die ISS vorbeikommt.
    Vor uns schickt der Atlantik seine
Wellen an den Strand. Hinter uns ist alles, was vorher war.
    »Du musst nicht gehen.«
    »Ich weiß.«
    »Wenn ich dir schreibe, dann antworte
nicht.«
     
    Klirrende Kälte begrüßt uns in Hannover. Berge von Schnee säumen die
Straßen, auf denen wir nach Hause fahren. Seit wir das Flugzeug verlassen haben,
hält Nina ihr Mobiltelefon umklammert und textet, als ginge es um ihr Leben. Markus
wird in zwei Tagen nach Hause fliegen, nach Bielefeld. Ich bin gespannt, was daraus
wird.
    Eigentlich
bin ich noch gar nicht angekommen. Den Schnee halte ich für eine optische Täuschung
und die Kälte für die ersten Anzeichen eines grippalen Infektes.
    Blaue Autobahnschilder
mit ach so deutschen Städtenamen fliegen vorbei. Hinter den Schallstoppwänden vermutet
man Wohngebiete, in denen die Polizei gerade Verkehrskontrollen durchführt, und
Haltestellen, an denen der Schulbus parkt, um einen Schwarm Erstklässler in die
Obhut der Mütter zu entlassen.
    Hildesheim
– Northeim – Göttingen – Heiligenstadt. Next Stop: Mühlhausen in Thüringen. Willkommen
zu Hause!
    »Weißt du, welches die beste Liebe
von allen ist?«, fragt Nina, klappt ihr Handy zu und wirft es in ihre Tasche.
    Ich schalte einen Gang herunter,
um ein Fahrzeug zu überholen. »Welche denn?«
    »Die unerfüllte. Sie bleibt dir
ein Leben lang erhalten.«
     
    Lilly hat uns erwartet und öffnet das Tor für uns. Wann immer ich den
langen, von Bäumen gesäumten Weg zum Haupthaus fahre, muss ich an südamerikanische
Sklavenplantagen denken.
    »Ich wohne nun zwar schon ein paar
Wochen hier«, murmelt Nina. »Aber gewöhnen werde ich mich wohl nie daran. Echt der
Hammer, was für Schotter man mit Schlafanzügen verdient.«
    Lilly wartet vorm Haus und lädt
mich ein, auf einen Tee oder Kaffee zu bleiben, doch ich vertröste sie auf ein anderes
Mal, denn nach dem Flug und der Autofahrt mit Nina möchte ich eine Weile allein
sein.
    Die Maschine mit Lukas und Bastian
an Bord dürfte in zwei Stunden auf dem Frankfurter Flughafen landen. In fünf Stunden,
Punkt 21 Uhr sind wir verabredet.
    Da meine Eltern nur einige Blocks
von Lilly
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