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Taubenjagd: Jimmy Veeders Fiasko

Taubenjagd: Jimmy Veeders Fiasko

Titel: Taubenjagd: Jimmy Veeders Fiasko
Autoren: Shaw Johnny
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betrachtete ich als verdauungsfördernd.
    Es ist nicht meine Art, Schwätzchen mit Serviererinnen zu halten, deswegen war meine Mahlzeit nicht sonderlich bemerkenswert. Das Essen war gar nicht mal so übel; und der Kaffee gab mir genau den Kick, den ich brauchte. Aber ich hatte noch keine Lust, weiterzufahren. Der Souvenirladen im Bauch des Brontosauriers war geschlossen, also stellte ich mich unter den Tyrannosaurus, strich mit der Hand über den rissigen Gips und rauchte eine, bevor ich mich wieder auf den Weg machte.
    Von Weitem sahen die Dinosaurier wie Kolosse am Straßenrand aus, aber aus der Nähe betrachtet waren sie nur zusammengezimmerte Konstruktionen mit abblätternder Farbe und entblößtem Drahtgeflecht. Um eines klarzustellen: Ich meine nicht, dass große Ungeheuer aus der Nähe betrachtet plötzlich ganz zerbrechlich wirken. Und ich will damit auch nicht sagen, was aus der Ferne wie
Stärke aussieht, sei nur eine Fassade, die unsere kleinen Schwächen verbirgt. Ich will nur sagen, dass den Dinosauriern ein bisschen frische Spachtelmasse nicht geschadet hätte. Billige Metaphern sind etwas für Leute, die sich die Sprüche aus Glückskeksen zu Herzen nehmen, sich in ihrer Lesegruppe profilieren müssen und glauben, dass die Liebe alle Hindernisse überwindet. Nichts ist mehr als das, was es allem Anschein nach ist. Wir könnten alle ein bisschen Spachtelmasse vertragen.
    Noch eine halbe Stunde auf dem Freeway 10, dann fuhr ich bei Indio ab und auf der CA 86 Richtung Süden zum Imperial Valley. Ich konnte ihn nicht sehen, aber ich wusste, der Saltonsee lag direkt links von mir. Tagsüber, wenn sich der wolkenlose Himmel in seiner glitzernden Oberfläche spiegelte, konnte der Saltonsee wunderschön aussehen. Aber nachts, wenn man nicht von der Optik abgelenkt wurde, blieb nur das Geruchsgemisch von verfaultem Fisch und irgendeiner Krankheit mit einem komplizierten Namen, das sich den Weg durch das geschlossene Fenster meines Pick-ups bahnte. Als Lufterfrischer zündete ich mir eine Zigarette an.
    Ich fuhr an einem von Schrotkugeln durchsiebten Schild vorbei: Hier beginnt Imperial County. Das Imperial Valley lag so weit im Süden und so weit im Osten, wie es in Kalifornien nur eben geht, direkt an der Grenze zu Arizona und Mexiko. Auf der amerikanischen Seite wohnten die meisten Menschen in El Centro, Imperial, Brawley, Holtville und Calexico. Auf der mexikanischen Seite des imposanten Zauns aus Stahl und NATO-Draht dehnte sich die Stadt Mexicali aus, eine Metropole mit über einer Million Einwohnern. Wegen der Nähe zu Mexiko waren drei Viertel der Einwohner des Imperial Valley Hispanos. Hier wurde viel häufiger Spanisch als Englisch gesprochen.
    Imperial County war die ärmste County Kaliforniens, mit einer Arbeitslosenquote von über dreißig Prozent und so vielen Analphabeten, dass das ländliche Mississippi dagegen wie ein Bildungsmekka erschien. Da ein Viertel der Bevölkerung ohne Arbeit dastand, kann man sich vorstellen, wie die Verbrechensquote
aussah. Kurz gesagt, es war eine ziemliche Drecksgegend. Aber das ist wirklich ganz lieb gemeint.
    Ich berührte mit dem Handrücken das Fenster und konnte durch das Glas die Hitze der Wüste spüren. Selbst spätnachts waren es um die fünfunddreißig Grad Celsius. Tagsüber würde die Hitze mit über vierzig Grad kaum auszuhalten sein.
    Die Fahrt bis zum Haus würde noch eine Stunde dauern, aber ich war zu Hause. Dies war meine Heimat. Was das auch immer heißen mag.
     
    Pop hatte mir zuerst nichts davon erzählt, dass bei ihm Krebs festgestellt worden war. Er hatte mir auch nichts von seiner ersten Operation erzählt. Oder von der zweiten. Oder von der Chemotherapie. Oder der Bestrahlung. Ich war zwar zwölf Jahre fort gewesen, aber wir waren keineswegs zerstritten. Wir telefonierten regelmäßig miteinander und schrieben uns Briefe, selbst als dies durch die moderne Technik zum schrulligen Anachronismus wurde. Aber scheinbar war ihm alles entfallen, was mit Krebs zu tun hatte. Aus Gründen, die nur er kannte, hatte er es mir verheimlicht.
    Bis ein paar Tage vor meiner Fahrt. Ohne lange Vorrede hatte Pop es mir damals offenbart. Alles über seine Krankheit. Pop zufolge befand er sich in einer Phase, die er scherzhaft »Endspurt« nannte. Kein genialer Witz, aber er war tödlich an Krebs erkrankt, deswegen ließ ich es ihm durchgehen. Keine Chemo oder Bestrahlung oder Operationen mehr. Rein gar nichts. Er war aus eigener Entscheidung in ein Pflegeheim
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