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Tanz mit mir - Roman

Tanz mit mir - Roman

Titel: Tanz mit mir - Roman
Autoren: Lucy Dillon Sina Hoffmann
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sogar extra aus Europa eine Spiegelkugel importiert, die über Foxtrotts und rasanten Quickstepps funkelte – insbesondere, als während des nächsten Krieges die feschen GIs im Stützpunkt am anderen Ende der Straße stationiert wurden.
    Gegen Ende der Fünfzigerjahre – Angelica konnte sich noch selbst daran erinnern, vor allem an das schiere Entsetzen ihres Vaters – erklang drei Mal pro Woche Rock’n’Roll in der Memorial Hall und lieferte sich einen erbitterten Kampf mit den eingefleischten Balltänzern um ein alternatives Angebot für den Freitagabend.
    Longhamptons Leidenschaft für einen schwungvollen Rhythmus war tief verwurzelt und hielt lange an. Selbst als der Punk in London grassierte, zog es immer noch Paare in ihren besten C&A-Klamotten in die Memorial Hall, um dort am Freitagabend das Tanzbein zu Walzer und Foxtrott zu schwingen. Modetrends brauchten lange, bis sie das Zentrum des Nichts erreichten, und abgesehen davon gab es außerdem kaum etwas anderes zu tun. Angelica hatte Longhampton zu diesem Zeitpunkt bereits verlassen, doch ihre Mutter berichtete
ihr in ihren Briefen von dem Erfolg, den die örtliche Tanzformation hatte, und darüber, dass sich der Gruppentanz allmählich wieder größerer Beliebtheit erfreute. All dies schien ihr damals wie aus einem anderen Leben zu stammen. Sie war in der Zwischenzeit ein Star des professionellen Turniertanzes geworden; sie trat auf den glänzenden Parketts der Welt auf, unter der rot-goldenen Pracht des berühmten Tower Ballrooms in Blackpool, England, in der Lounge von Kreuzfahrtschiffen, auf Nachtclubbühnen, glitzernd und funkelnd wie ein farbenfroher, herausgeputzter Pfau, der sich in etwas anderes verwandelte, sobald die Musik anhob.
    Wenn Angelica in jenen Tagen nach ihrer Herkunft gefragt wurde, behauptete sie für gewöhnlich, aus London zu stammen. Und in gewisser Hinsicht stimmte es auch tatsächlich, denn dort wurde sie Angelica und ließ die Vergangenheit der kleinstädtischen Angela zurück wie ein altes Kleid, das man nicht mehr anzog. Wer interessierte sich schon für Longhampton? Sie ganz gewiss nicht.
    Nun war Angelica jedoch zurückgekehrt, und sie war sich nicht sicher, ob sie die Vergangenheit noch einmal so einfach abschütteln konnte. Als sie eines Abends das Lokalblatt im stillen, einsamen Haus ihrer Mutter überflog, sah sie, dass es hier an zwei oder drei Freitagen im Monat einen Tanzabend gab. Sie nahm an, dass der Promi-Tanzwettbewerb »Strictly Come Dancing« im Fernsehen nicht ganz unschuldig daran war. Natürlich hatte sie einen dieser Tanzabende besucht – wie hätte sie der Versuchung widerstehen können? – und war erstaunt gewesen über das Niveau, selbst gemessen an ihren hohen Anforderungen. Natürlich entsprach es in keiner Weise dem Standard eines Tanzturniers, doch es bewegte sich auf einem Amateurlevel, bei dem man sich gleichzeitig nett unterhalten und tanzen konnte, ohne dabei ramponierte Zehen zu riskieren. Allerdings waren ausschließlich ältere Semester zugegen, kaum Jugendliche.

    Du gehörst nun auch schon zum älteren Semester, erinnerte sich Angelica. Bald bekommst auch du ein Seniorenticket für den Bus.
    Angelica konnte sich diesen Scherz erlauben, da ihr Aussehen keinesfalls ihrem Alter entsprach – bei Weitem nicht.
    Aus eigener Erfahrung wusste sie, dass man sich immer weiter verbessern wollte, wenn man einmal mit dem Tanzen begonnen hatte. Daher gab sie eine Anzeige in der Zeitung auf und warb für ihre eigenen Tanzkurse, Standard und Lateinamerikanisch. Sie wollte in jenem Saal unterrichten, in dem sie selbst als Dreikäsehoch inmitten der pausbäckigen, pummeligen Mädchen Longhamptons Stepptanz und das Plié, die Ausgangsform des Balletttanzes, gelernt hatte. So stand sie nun in der Memorial Hall. Am nächsten Tag sollte die erste Unterrichtsstunde stattfinden.
    Angelica nahm sich einen Besen, fegte den Staub vom Holzboden und musste lächeln, als sie an die hinreißende, junge Angelica mit ihrem zurückgegelten Haar und den falschen angeklebten Wimpern à la Dusty Springfield dachte. Damals hätte sie es grauenhaft gefunden, ausgerechnet hierher zurückzukehren und blutigen Anfängern einen Tanzkurs anzubieten, wo sie doch ihr Leben genießen und von den Unterhaltszahlungen ihres Exmannes in Islington leben konnte. Sie hätte es sich im Leben nicht vorstellen können, Leute zu unterrichten, die nicht einmal wussten, dass sie fast zwanzig Jahre lang die eine Hälfte eines der besten
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