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Tanz der Sinne

Tanz der Sinne

Titel: Tanz der Sinne
Autoren: Mary Jo Putney
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womöglich verhindern. Aber was sollte sie tun? Für derartige Situationen gab es keine Hilfsquellen, und wenn es auch Männer gab, die sie um Hilfe bitten konnte, so traute sie doch keinem von ihnen.
    Sie zwang sich zum Stillstehen. Das Chaos im Zimmer verriet die Spuren ihrer vergeblichen Suche. Sie galt als intelligente Frau – es wurde Zeit, daß sie sich auch so benahm.
    Sie setzte sich an den Schreibtisch, schnitt eine Feder zurecht, tauchte sie ins Tintenfaß und schrieb auf, was sie wußte. Zuerst kamen Daten, Tageszeiten und die Antworten der Leute, die sie befragt hatte. Dann formulierte sie ihre Theorie der Ereignisse. Sie stützte sich überwiegend auf Unterhaltungen, an die sie sich nur vage erinnerte, aber sie stimmte mit den Tatsachen überein. Sie mußte davon ausgehen, daß sie richtig war. Sie hatte keine andere Wahl.
    Die Tinte trocknete an ihrer Feder, als sie nachdachte, was sie als nächstes aufschreiben sollte. Am dringendsten brauchte sie Informationen. Wenn sie genau erfuhr, was geschehen war, konnte sie nach einem Ausweg suchen.
    Sie hatte zwar Verbündete, aber der überwiegende Teil der Suche würde auf ihr lasten.
    Nicht nur, daß ihre Begabung einmalig war –
    niemand konnte mehr betroffen sein als sie.
    Langsam ergab sich ein klareres Bild, wie sie vorgehen mußte. Ihr Gesicht verspannte sich, als sie sich näher damit auseinandersetzte. Die eine oder andere notwendige Aktion mochte sich als gefährlich erweisen, und sie wußte, daß sie nicht besonders mutig war. Aber sie hatte keine Wahl, einfach nur zu warten, wäre unerträglich gewesen.
    Die kühnste Idee war gleichzeitig die einfachste.
    Als sie sie niederschrieb, haderte sie mit sich selber, daß sie nicht früher darauf gekommen war.
    Ihre Feder flog über das Papier, während ihr immer neue Gedanken kamen. Bald hatte sie alles notiert, was sie brauchte, um eine andere Person zu werden.
    Oder richtiger gesagt, ein halbes Dutzend andere Personen.

Kapitel 2
    »Steh’n geblieben, Euer Lordschaft!«
    Er erstarrte augenblicklich. Lucien Fairchild, neunter Graf von Strathmore, beruflich heimliches Oberhaupt von Englands lockergeknüpftem Geheimdienstnetz und Mysterium aus Neigung, erkannte Mordlust, wenn er ihr begegnete.
    Langsam drehte er sich zu dem Mann um, der ihn in die Enge getrieben hatte. Er war unachtsam geworden, seit der Krieg vorbei war. Er hätte es besser wissen sollen. Auf den Schlachtfeldern Europas mochte Ruhe eingekehrt sein, aber die Welt der Intrigen, Politik und Machtkämpfe war unzerstörbar.
    Er war auf dem Heimweg von seinem Club, und es war spät, nach Mitternacht. Trockene Blätter wirbelten über das Kopfsteinpflaster, und an der nächsten Kreuzung polterten Lastkarren über den Hanover Square, aber in dieser schattigen Straße war Lucien alleine mit einer – nein, zwei –
    dunklen, vierschrötigen Gestalten. Das schwache Licht der Sterne spiegelte sich in den langen Läufen der Pistolen, die auf sein Herz gerichtet waren.
    Er mußte Zeit gewinnen. Wer waren die Männer, und was wollten sie von ihm? »Kennen wir uns?«
    fragte Lucien höflich.
    »Nich’ persönlich, aber ’s heißt, Sie suchen seit fast zwei Jahren nach Harry Mirkin, und ich dachte, ’s wird Zeit, daß ich mich vorstelle.« Der Mann stieß ein verächtliches Schnauben aus. »Ich muß sagen, ich bin enttäuscht, ’s heißt, Sie werden Lucifer genannt, weil Sie ’n gefährlicher Teufel sind, aber ich seh bloß ’n milchgesichtiges Bübchen, das noch nich’ mal ’m zehnjährigen Taschendieb aus’m East End Angst machen würde.«
    »Es tut mir leid, wenn ich Ihren Erwartungen nicht gerecht werde. Gerüchte sind oft übertrieben.« Lucien schwang seinen Stock mit dem Elfenbeinknauf. »Sie zum Beispiel sind angeblich der König der Londoner Unterwelt. Es wird behauptet, daß die Franzosen Sie bezahlt haben, um die Anführer der Torys zu ermorden, in der Annahme, daß damit die Regierung zusammenbrechen und England sich aus dem Krieg zurückziehen würde. Beruht dieses Gerücht auf Wahrheit?«
    »Jawoll«, sagte Mirkin bösartig. »Und ich hätt’s auch geschafft, wenn Sie und Ihre miesen Spitzel nich’ gewesen war’n. Ihr habt mich fast meine ganze Bande gekostet, meine Stellung in der Unterwelt und die fünftausend Goldguineen, die ich gekriegt hätte, wenn alles geklappt hätte. So hab’ ich Glück gehabt, daß ich mit’m Leben davongekomm’ bin.«
    »Kein schlechter Lohn für einen Auftrag, aber ein Bettel dafür, daß Sie
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