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Tanz der Kakerlaken

Tanz der Kakerlaken

Titel: Tanz der Kakerlaken
Autoren: Donald Harrington
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vertretenen Glauben, daß die Knackerlake Joshua der Sohn des Menschen war, ebensowenig teilen wie die Vorstellung, daß die Knackerlakensippe der Ingledews von menschlichen Ingledews abstammte. Es reicht, daß wir die Namen und Gebräuche des Menschen annehmen; uns auch noch auf die biologische Abkunft berufen zu wollen, wäre zuviel.
    Vom Temperament her, ebenso wie von seinen Wohnverhältnissen, fühlte sich Sam den Kontroversen zwischen Chrusten und Nichtchrusten, zwischen Frack- und Sackerlaken fern. Das Heilige Haus war eine andere Welt, auch wenn beide Gebäude nicht mehr als eine Viertelmeile auseinanderlagen, an der Roamin Road, jener Hauptstraße des Dörfchens Stay More zu der Zeit, als Stay More noch von Menschen wie Knackerlaken-Ingledews in reicher Zahl bevölkert gewesen war. Sams Vater, Junker Hank Ingledew, liebte es, von den alten Zeiten zu sprechen, obwohl Junker Hank sie ebensowenig erlebt hatte wie seine Ahnen und Urahnen, bis hin zu Isaac Ingledew, der die Knackerlaken ins Exil geführt hatte, zu jener Zeit, als Stay More von den Menschen verlassen wurde.
    Die Ingledews waren schon immer Führernaturen gewesen, bereits lange vor Joshua, und wenn Sam keine Neigung verspürte, irgend jemanden zu führen, so deshalb, weil ihm die Politik noch weniger schmeckte als die Religion. Als Philosoph, Epikuräer, Naturalist und Bonvivant waren ihm die Traditionen seines Volkes fremd. Er war ein Kosmopolit in einer Welt bodenständiger Provinzler.
    Und falls es ihm nicht gelang, seine Schüchternheit zu überwinden und ein Mädchen zu finden, war er der Letzte der Ingledews. Sein Vater, Junker Hank, obwohl körperlich noch kräftig, war psychisch impotent und würde nie wieder Nachkommen zeugen. Sam hatte keine Brüder oder Schwestern. Als seine Mutter die Oothek, ihr Osterei, gelegt hatte (Sams pränatale Herberge), war sie von seinem Vater fortgeschlichen und auf das Sims über dem unbenutzten Kamin im Schlafzimmer der Frau geklettert. Sie hatte ihr Osterei sorgfältig in einer Ecke der Uhr deponiert, weit weg vom langsamen Malmen des Uhrwerks und dem Schwingen des Pendels, sicher vor Spinnen und Skorpionen. Es war ihr drittes Osterei der Saison; aus den beiden anderen war nichts ausgeschlüpft.
    Eine Oothek wird durch das vereinte gleichzeitige und spontane Ein- und Ausatmen ihrer vierzehn bis sechzehn Bewohner ausgebrütet. Sam erinnerte sich noch – es war seine allererste Erinnerung – an die furchtbare Anstrengung, seinen Unterleib einzuziehen und aufzublähen, ohne daß die Schale der Oothek davon zersprang und das österliche Ei schlüpfte; und auch an seine Panik, als ihm klar wurde, daß die anderen fünfzehn »Passagiere« in der Oothek nicht mithalfen, weil sie bereits im Westen waren oder vielmehr den Osten erst gar nicht erreicht hatten. Sie waren Totgeburten, allesamt, und auch Sam wäre trotz seiner rasenden und verzweifelten Bemühungen eine geworden, hätte die Uhr nicht plötzlich »BONBON!« gerufen und siebenmal mit soviel Getöse und Vibrationen geschlagen, daß allein der Lärm die Hülle der Oothek zu sprengen schien und ihn, kreischend vor Angst und jubelnd vor Siegesfreude, in dieses Leben entließ.
    Seine Mutter hatte ihn nicht »Sam« getauft, es war also nicht sein »richtiger« Name. In keiner Generation von Ingledews, weder unter den Menschen noch unter den Knackerlaken, gab es jemanden mit diesem Namen oder dem, den seine Mutter ihm wirklich gegeben und den er vergessen hatte (und sie, ach, sie war im Westen seit Sams viertem Stadium und ihrer Verseuchung durch die Knackerlakenmilbe, Pimeliaphilus podapolipophagus, die sie hinweggerafft hatte). Sie hatte ihm einen ganz besonderen Namen gegeben, der die Jahreszeit seiner Geburt symbolisierte.
    »Wenn du erwachsen bist«, hatte sie erklärt, »wenn du dein Imago erreichst, kannst du dich nennen, wie du willst. Namen sind so was wie Schnüffelruten vorn am Gesicht. Du kannst damit herumwedeln und mit ihnen deinen Weg in dieser Welt finden. Und halt sie immer schön sauber, dann kannst du damit alles berühren und mit anderen Leuten reden und so, aber ein Name ist einfach eine Schnüffelrute.«
    Als er also herangewachsen war – er war nicht mehr jung, er hatte schon einen vollen Umlauf der Erde um die Sonne erlebt –, hatte er seinen Taufnamen abgelegt und sich statt dessen Gregor Samsa Ingledew genannt, ein Name, dessen Bedeutung nur von ihm selbst erfaßt und gewürdigt wurde. Wie er diese Bedeutung erfahren hatte, bleibt
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