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Tanz der Kakerlaken

Tanz der Kakerlaken

Titel: Tanz der Kakerlaken
Autoren: Donald Harrington
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Chidiock Tichborne und seine fünfzehn Brüder und Schwestern waren in den Falten dieses Fracks zur Welt gekommen. Er selbst hatte sein erstes Stadium damit zugebracht, das glatte Futter aus italienischem Stoff zu erforschen, in den Tunneln der Ärmel mit seinen Geschwistern Verstecken zu spielen und andere Kinder zu besuchen, die in den Taschen und den Rockschößen wohnten, denn dieser Frack war nicht nur Heim und Wiege für mehrere Generationen von Tichbornes gewesen, sondern auch für die Murrisons, die Chisms, die Duckworths, die Plowrights und andere gute Familien von Stay More, die, weil sie der Kochstatt am nächsten wohnten – viel näher als die in einem alten Sack im Wandschrank hausenden Sackerlaken –, die höheren Ränge der Gesellschaft im Dorfe bildeten, die wohlhabendsten und, darauf legte Bruder Tichborne Wert, die frömmsten, chrustlichsten, menschenfürchtigsten und gläubigsten von allen.
    In ganz Stay More gab es nur einen Geistlichen, und das war Bruder Tichborne.
    Bruder Tichborne kehrte also von seinem »zwielichtigen Gesundheitsspaziergang«, wie er es nannte, in den Frack zurück, um festzustellen, daß sein Eheweib, IIa Frances, aufgestanden war und für sich und die Kinder das Frühstück bereitete.
    »Krümchen, Schwester Tichborne«, begrüßte der Geistliche seine Frau, mit der er immer sehr förmlich zu verkehren pflegte. Er wünschte, sie würde es genauso halten, doch sie:
    »Krümchen, Chid«, sagte sie. »Wie schaut's denn aus da draußen in der Welt?«
    »Es ist recht mild und schön, jetzt, da die Nacht kommt«, bemerkte er. »Sechs und zig Milliarden Sterne am Himmel.«
    »Sechs nur!« sagte sie. »Letzte Nacht waren sie sieben.«
    »Papa, dürfen wir Jungen heut abend zu der Spielparty?« fragte Archy, einer ihrer Söhne, gerade aus dem Imago-Alter heraus, und zeigte auf sich und seine Geschwister, größtenteils identische Brüder.
    »Nee, Archibald«, sagte der Geistliche. »Die werden wahrscheinlich tanzen auf dieser komischen Spielparty.«
    »Ach, wir können einfach zugucken«, erklärte Archy.
    »Sie können auf ihre Schwestern aufpassen«, gab Mrs. Tichborne zu bedenken.
    »Klar, wird gemacht«, sagte Archy. »Wir haben ein Auge auf unsere Schwestern.«
    »Aber kein Tanzen«, sagte Bruder Tichborne müde. »Daß mir keiner von euch tanzt.«
    Das gute Dutzend Tichborne-Sprößlinge sprang vom Frühstück auf – die Jungen purzelten übereinander, während die Mädchen davonhuschten.
    Allein miteinander besprachen Bruder und Schwester Tichborne ihre Pläne für die Nacht. Schwester Tichborne wollte ihre Schwester besuchen, die mit einer Sackerlake verheiratet war. Bruder Tichborne wollte sie eventuell begleiten; eine gute Gelegenheit, ein paar von den Sackerlaken zu bekehren. Falls er lange genug leben würde und falls des Mannes Kugeln ihn nicht zuvor entrückten und nach Westen schickten, so war es sein Ehrgeiz, jeden einzelnen zum Chrusten zu bekehren … sogar die Ingledews, deren Domizil, Parthenon, er dem Chrustentum weihen wollte.
    Aber heute nacht hatte er eine dringlichere Aufgabe zu erledigen: Chid Tichborne mußte die nächste Gebetsversammlung und Andacht planen und einstudieren, die er zum erstenmal in Anwesenheit des Mannes aufzuführen gedachte, direkt vor des Mannes Füßen. Dieser kühne Schritt würde mit Sicherheit einige der Ungläubigen bekehren.
    Und wenn er all diese Vorbereitungen getroffen hatte, schaute er wohl besser einmal bei dieser Spielparty vorbei, nur um sicherzugehen, daß die jungen Leute sich auch benahmen …
     
    3.
    Sam Ingledew zog die Krusten den Krumen vor, besonders, wenn es sich um die Kruste eines Brie, Camemberts oder Boursins handelte, die Kruste einer Brezel oder Waffel oder eines Eclairs, die Kruste eines Biskuits oder Schokoladenkuchens oder einer Makrone; sein Favorit unter allem Eßbaren waren Apfelkrapfen. Es war die Kruste eines beignet aux pommes, die etwas über die Qualität des Ganzen aussagte, und er konnte sich keinen guten Beignet vorstellen ohne eine durch und durch knusprige Kruste.
    Aber er war kein Chrust, nicht im religiösen Sinne. Sicher, er glaubte, daß es im Stay More des Altertums eine gewisse Knackerlake namens Joshua Chrust gegeben hatte, den sie Chrustus nannten, und Sam hielt es sogar für möglich, daß dieser Joshua Chrust von einem Menschen oder einem Menschenkind mit dem ehrwürdigen staymoreschen Familiennamen Ingledew auf eine Nadel gespießt worden war. Aber Sam konnte den allgemein
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