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Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen
Autoren: Anne Rice
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besser über die praktischen Dinge des Lebens reden konnte – was für ein Kleid man zu einem Schulball anziehen sollte, ob man sich schon die Beine rasieren sollte oder nicht, welches Parfüm am besten zu einem dreizehnjährigen Mädchen paßte (Laura Ashley No. 1).
    Nun, aber was würde sie jetzt anfangen, wo sie in der Nacht des Mardi Gras draußen war, frei, und ohne daß jemand e t was davon wußte oder auch wissen würde? Sie wußte es n a türlich schon. Sie war bereit. Die First Street gehörte ihr! Es war, als flüstere das große dunkle Haus mit den weißen Sä u len ihr zu: Mona, Mona, komm herein. Hier hatte Onkel Julien gelebt, hier war er gestorben. Es ist das Haus der Hexen, und du bist eine Hexe, Mona, so sicher wie all die anderen! Du gehörst hierher.
    Vielleicht war es Onkel Julien selbst, der da mit ihr sprach. Nein, das war Einbildung.
    Aber wußte man’s? Wenn sie erst drinnen wäre, vielleicht würde sie dann wirklich Onkel Juliens Geist sehen! Ah, das wäre wunderbar. Vor allem, wenn es derselbe heitere und verspielte Onkel Julien wäre, von dem sie unablässig träumte.
    Sie überquerte die Kreuzung unter dem schweren dunklen Dach der Eichenäste und kletterte flink über den alten schmiedeeisernen Zaun. Schwer plumpste sie zwischen dichtem Gebüsch und Elefantenohren auf den Boden; sie fühlte das kalte, nasse Laub im Gesicht, und es gefiel ihr nicht. Sie schob den rosaroten Rock herunter und trat auf Zehenspitzen von der feuchten Gartenerde auf den mit Steinplatten gepflasterten Weg.
    Lampen brannten matt zu beiden Seiten der schlüssellochförmigen Haustür. Die Veranda lag im Dunkeln; die Schaukelstühle waren kaum zu sehen, schwarzlackiert, wie sie waren, passend zu den Fensterläden. Es war, als ziehe der Garten sich ringsherum zusammen und rücke näher heran.
    Das Haus selbst sah aus wie immer: schön, geheimnisvoll und einladend. Im Grunde ihres Herzens mußte sie allerdings zugeben, daß es ihr als spinnwebdurchzogene Ruine besser gefallen hatte, bevor sich Michael mit seinem Hammer und seinen Nägeln daran zu schaffen gemacht hatte. Es hatte ihr gefallen, als Tante Deirdre ewig in ihrem Schaukelstuhl auf der Seitenveranda gesessen hatte und als die Ranken das ganze Anwesen zu verschlucken drohten.
    Natürlich, Michael hatte es gerettet – aber hätte sie doch nur einmal hineinkommen können, als es noch eine Ruine gew e sen war. Sie hatte alles über die Leiche gewußt, die sie oben auf dem Speicher gefunden hatten. Sie hatte ihre Mutter und Tante Gifford darüber streiten hören, jahrelang. Monas Mutter war erst dreizehn gewesen, als Mona zur Welt gekommen war, und Gifford war immer dagewesen, solange sie zurüc k denken konnte.
    Ja, tatsächlich hatte es eine Zeit gegeben, da war Mona nicht mal sicher gewesen, welche von beiden eigentlich ihre Mutter war – Gifford oder Alicia. Gifford war als Mutter die nächstliegende Wahl gewesen, denn Alicia hatte zu jener Zeit bereits mächtig getrunken, aber Mona hatte alles im Griff, und zwar schon seit Jahren. Mona war die Herrin des Hauses in der Amelia Street.
    Sie hatten damals viel über die Leiche dort oben gesprochen. Sie hatten über Cousine Deirdre gesprochen, die Erbin, die im Zustand der Katatonie dahinsiechte. Sie hatten über all die Geheimnisse der First Street gesprochen.
    Bei ihrem aller ersten Besuch in der First Street – kurz vor Rowans Hochzeit mit Michael – hatte sie sich eingebildet, sie könne die Leiche noch riechen. Sie wäre gern nach oben g e gangen und hätte die Stelle, wo sie gelegen hatte, mit den Händen berührt. Michael Curry hatte das Haus restauriert, und oben waren Handwerker beim Anstreichen gewesen. Tante Gifford hatte Mona befohlen, sich »nicht von der Stelle zu rü h ren!«, und ihr jedesmal, wenn sie versuchte, umherzuwa n dern, einen strengen Blick zugeworfen.
    Gerüche. Sie wollte auch diesem anderen Geruch auf die Spur kommen – dem Geruch, der im Flur und im Wohnzimmer der First Street hing. Der hatte nichts mit einer Leiche zu tun. Der Geruch war mit der Katastrophe an Weihnachten gekommen, und niemand sonst konnte ihn riechen, wie es schien – es sei denn, Tante Gifford hatte gelogen, als Mona sie gefragt hatte.
    Das tat Tante Gifford manchmal. Sie gab nicht zu, daß sie »Dinge« sah oder seltsame Gerüche witterte. »Ich rieche nichts!« hatte sie verärgert gesagt. Na ja, vielleicht stimmte das ja auch. Die Mayfairs konnten nicht selten die Gedanken anderer lesen, aber sie
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