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Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen
Autoren: Anne Rice
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stattgefunden hatte. Jetzt war alles sauber g e fegt; nur ein paar verstreute Blätter lagen herum. Die Jalappen trieben schon wieder hervor. Sie konnte sie riechen und die winzigen kleinen Blüten in der Dunkelheit sehen. Schwer, sich all das von Schnee und Blut bedeckt vorzustellen, und Michael Curry, wie er unter der Wasseroberfläche trieb, mit blutigem, zerschlagenem Gesicht und stillstehendem Herzen.
    Dann stieg ihr noch eine andere Witterung in die Nase – der gleiche seltsame Geruch, den sie schon im Hausflur bemerkt hatte und auch im vorderen Salon, wo früher der chinesische Teppich gelegen hatte. Er war nur matt, aber er war vorha n den. Als sie sich der Balustrade näherte, roch sie ihn deutl i cher. Er mischte sich mit dem Duft der kalten Jalappen. Ein sehr verführerischer Geruch. Irgendwie, na ja, köstlich, dachte sie. Wie Karamel oder Toffee köstlich duften konnte, nur daß es sich hier um nichts Eßbares handelte.
    Plötzlich flammte in ihr ein leiser Zorn auf den hoch, der M i chael Curry verletzt hatte. Sie hatte ihn vom ersten Augenblick an gemocht. Auch Rowan Mayfair hatte sie gemocht. Sie hatte sich danach gesehnt, für ein Paar Augenblicke mit ihnen allein zu sein, um ihnen Fragen zu stellen und Dinge zu sagen – vor allem, um sie zu bitten, ihr das Victrola zu schenken, wenn sie es finden könnten. Aber solch eine Gelegenheit hatte sich nie ergeben.
    Sie kniete sich auf die Steinplatten wie zuvor. Sie berührte den kalten Stein, der ihren bloßen Knien weh tat. Ja, der Geruch war da. Aber sie sah nichts. Sie schaute hinauf zur dunklen Dienstbotenveranda des Haupthauses. Nirgends war Licht. Dann spähte sie durch den Eisenzaun zur Remise hinter Dei r dres Eiche. Ein Licht. Das bedeutete, daß Henri noch wach war. Na und? Mit Henri würde sie fertig werden. Heute abend beim Essen nach der Comus-Parade hatte sie erkannt, daß Henri bereits Angst vor diesem Haus hatte und nicht gern da r in arbeitete; wahrscheinlich würde er nicht mehr lange bleiben.
    Lange Zeit stand sie am Pool und dachte an all die kleinen Häppchen der Geschichte – Rowan war weggelaufen, hatte vorn im Flur so etwas wie eine Fehlgeburt gehabt, überall Blut, und Michael blaugeschlagen und bewußtlos im Pool. War die Fehlgeburt die Erklärung für den Geruch? Sie hatte Pierce gefragt, ob er es riechen könnte. Nein. Sie hatte Bea gefragt. Nein. Sie hatte Ryan gefragt. Natürlich nicht. Hör auf, heru m zulaufen und nach geheimnisvollem Kram zu suchen! Sie dachte an Tante Giffords ernstes Gesicht, als sie am Wei h nachtsabend im Krankenhauskorridor gestanden hatten und alle dachten, Michael würde sterben, und wie sie Onkel Ryan angeschaut hatte.
    »Du weißt, was passiert ist!« hatte sie gesagt.
    »Das ist Aberglaube und Irrsinn«, hatte Ryan geantwortet. »Ich werde mir das nicht anhören. Und ich erlaube nicht, daß du vor den Kindern davon redest.«
    »Ich will nicht vor den Kindern davon reden«, hatte Tante Gi f ford gesagt, und ihr Unterkiefer hatte gezittert. »Ich will nicht, daß die Kinder es wissen! Halte sie fern von diesem Haus, ich flehe dich an. Ich habe dich immer schon angefleht, sie fer n zuhalten.«
    »Als ob es meine Schuld wäre!« hatte Onkel Ryan geflüstert. Der arme Onkel Ryan. Anwalt der Familie, Beschützer der Familie. Das war ein gutes Beispiel dafür, was Konformität aus einem machen konnte, denn Onkel Ryan war in jeder Hinsicht ein super aussehendes männliches Tier, der heroische Typ im Grunde, mit kantigem Kinn, blauen Augen, guten, starken Schultern, einem flachen Bauch und Musikerhänden. Aber das sah man nie. Alles, was man sah, wenn man Onkel Ryan anschaute, waren sein Anzug und sein Oxfordhemd und der Glanz seiner Church’s-Schuhe. Jeder Mann in der Kanzlei von Mayfair und Mayfair kleidete sich haargenauso. Ein Wunder, daß die Frauen es nicht taten; sie hatten einen Stil entwickelt, zu dem Perlen und Pastelltöne sowie Absätze von unte r schiedlicher Höhe gehörten. Echt aufregend, dachte Mona. Wenn sie erst Multimillionärin und Mogul wäre, dann würde sie ihren eigenen Stil entwickeln. Aber bei diesem Streit im Flur hatte Onkel Ryan sich anmerken lassen, wie verzweifelt er war und wie besorgt um Michael Curry. Er hatte Tante Gifford nicht kränken wollen. Das wollte er nie.
    Dann war Tante Bea dazugekommen und hatte sie beide b e ruhigt. Mona hätte Tante Gifford gerne an Ort und Stelle e r zählt, daß sie wußte, daß Michael Curry nicht sterben würde, aber dann hätte
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